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Fälligkeit von Berufsunfähigkeitsrenten (OLG Koblenz)

Eine Fälligkeit von Berufsunfähigkeitsrenten tritt dann ein, wenn der Versicherer das Vorliegen des Versicherungsfalles und dessen Umfang festgestellt und überprüft hat. Dazu kann er gem. § 14 Abs. 1 VVG die notwendigen Erhebungen, wie zum Beispiel ärztliche Gutachten, vornehmen. Das OLG Koblenz hatte sich damit zu befassen, ob der Anspruch auf Versicherungsleistungen schon fällig wird, wenn der Versicherer jedoch noch ein weiteres Gutachten der gleichen ärztlichen Fachrichtung einholen will (OLG Koblenz, Beschluss vom 18.07.2022 – 10 U 457/22).

Berufsunfähigkeit wegen Depression?

Die Versicherungsnehmerin stellte im April 2018 einen Leistungsantrag. Sie war der Ansicht, dass sie aufgrund eingetretener Depressionen (siehe hierzu auch Berufsunfähigkeit wegen Depression) und Angststörungen berufsunfähig geworden sei. Zunächst prüfte der Versicherer eine etwaige Anzeigepflichtverletzung. Anschließend gab er im Dezember 2019 ein fachärztliches Gutachten in Auftrag. Das im März 2020 vorliegende Gutachten ergab Aggravations- und Simulationstendenzen (Tendenzen, Symptome und Erkrankungen stark auszuschmücken und vorzutäuschen) der Versicherten, sodass die Versicherung Anfang Mai 2020 das Gutachten dahingehend ergänzen ließ.

Nach Erhalt der Ergänzungen wurde die Versicherungsnehmerin Ende Mai 2020 aufgefordert, sich einer erneuten psychiatrischen Begutachtung durch einen anderen Gutachter zu unterziehen, da die Fragen der Versicherung hinsichtlich der Aggravations- und Simulationstendenzen noch nicht beantwortet seien. Die Versicherte hält die Versicherungsleistung bereits für fällig, da ein zweites Gutachten der gleichen medizinischen Fachrichtung keine notwendige Erhebung im Sinne des § 14 Abs. 1 VVG mehr sei und das erste Gutachten das Bestehen eines Versicherungsfalles bereits erkennen ließ. Der Versicherer dagegen hält die notwendigen Erhebungen erst für abgeschlossen, wenn auch hinsichtlich der im ersten Gutachten aufgekommenen Aggravations- und Simulationstendenzen ein aussagekräftiges Gutachten vorliegen.

Nachdem das LG Mainz die Auffassung der Berufsunfähigkeitsversicherung teilte, legte die Versicherungsnehmerin Berufung zum OLG Koblenz ein.

OLG Koblenz zur Fälligkeit von Berufsunfähigkeitsrenten

Das OLG Koblenz behandelte in seinem Beschluss die Frage, ob ein zweites fachärztliches Gutachten in der gleichen medizinischen Fachrichtung noch eine notwendige Erhebung im Sinne des § 14 Abs. 1 VVG zur Feststellung eines Versicherungsfalles darstellt und der Anspruch auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrenten somit bereits fällig ist, oder nicht.

Die in § 14 Abs. 1 VVG geregelte notwendige Erhebung umfasst sowohl die Beschaffung von maßgeblichen Unterlagen als auch deren Prüfung. Ob eine Erhebung von Unterlagen notwendig ist, beurteile sich nicht nach dem Aufklärungsbedarf, sondern danach, was vernünftige Vertragsparteien den Umständen nach als vertretbar hinnehmen müssen. Die Erhebung fachärztlicher Gutachten sei danach jedenfalls vom Versicherungsnehmer hinzunehmen. Ob auch ein zweites Gutachten aus der gleichen Fachrichtung vertretbar ist, beurteilt sich laut dem OLG Koblenz einzelfallbezogen danach, ob es offensichtlich und für jedermann erkennbar Fragen offenlässt, die einer abschließenden Beurteilung des Versicherungsfalles im Wege stehen.

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Offensichtlichkeit bei neu festgestellten Aggravations- und Simulationstendenzen?

Diese Offensichtlichkeit hat das OLG bejaht. Denn das Gutachten attestiere der Versicherungsnehmerin einerseits kognitive Fähigkeiten, die mit Demenzkranken vergleichbar sei, sowie Panikattacken, die in Art und Häufigkeit weit über dem Durchschnitt von „durchschnittlichen“ Angstpatienten liegen. Andererseits stellte die Gutachterin bei der Versicherungsnehmerin Aggravations- und Simulationstendenzen fest. Die dadurch neu aufgeworfenen Fragen der Versicherung vermochte das daraufhin angeforderte Ergänzungsgutachten nicht auszuräumen. Vielmehr bedürfen diese neu attestierten Tendenzen ihrerseits einer Bestätigung beziehungsweise einer Entkräftigung durch einen weiteren Gutachter.

Aggravations- und Simulationstendenzen als wichtiger Grund i.S.v. § 314 BGB

Bei den Aggravations- und Simulationstendenzen handele es sich um Tatsachen, die einen wichtigen Grund im Sinne des § 314 BGB darstellen können. Somit sind sie potenziell relevant für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Versicherungsfalles. Zudem belasten derlei Tendenzen das Vertrauensverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer enorm. Da das Ergänzungsgutachten jedoch keine Klärung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Versicherungsnehmerin geliefert habe, sei eine weitere Begutachtung hinsichtlich der Validität der Aussagen notwendig.

Dem Vorwurf der Versicherungsnehmerin, die Versicherung erhoffe sich mit dem zweiten Gutachten ein für sie günstigeres Ergebnis, hält das OLG Koblenz entgegen, dass es nicht zulasten des Versicherers gehen könne, wenn aus Gründen außerhalb seines Einflussbereichs ein unbrauchbares Gutachten entstehe. Auch wenn eine zweite psychische Begutachtung mit körperlicher und psychischer Anstrengung für die Klägerin verbunden ist, so sei sie in Anbetracht der hohen Relevanz der Aggravations- und Simulationstendenzen für das Vertragsverhältnis trotzdem zumutbar und somit eine notwendige Erhebung zur Beurteilung des Versicherungsfalles gem. § 14 Abs. 1 VVG.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Wann eine notwendige Erhebung im Sinne des § 14 VVG beendet und somit die Versicherungsleistung fällig ist, beurteilt sich im Einzelfall danach, ob es für Versicherungsgeber notwendig und für den Versicherungsnehmer zumutbar ist, weitere Erhebungen anzustellen.

Tauchen bei einer fachärztlichen Begutachtung Tendenzen und Symptome auf, die vorher nicht bekannt waren und einen unmittelbaren Einfluss sowohl auf den Grund, aus welchem die Berufsunfähigkeit eintrat, als auch auf das generelle Vertragsverhältnis haben, so kann es auch erforderlich und zumutbar sein, ein weiteres fachärztliches Gutachten einzuholen. Kann ohne ein zweites Gutachten der Versicherungsfall nicht vollumfassend und richtig beurteilt werden, weil die im ersten Gutachten neu aufgekommenen Fragen nicht beantwortet wurden, hat der Versicherungsnehmer eine zweite Begutachtung hinzunehmen. Erst danach gilt die Erhebung als beendet und der Anspruch als fällig.

Bei Rechtsfragen und Problemen zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung empfiehlt es sich stets einen Fachanwalt für Versicherungsrecht hinzuziehen. Weitere interessante Urteile zu diesem Bereich sind nachfolgende zu finden: Berufsunfähigkeitsversicherung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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