Der BGH befasste sich in seinem Urteil vom 16.05.2019 (Az.: III ZR 176/18) mit den Haftungsrisiken eines Anlagenberaters im Zusammenhang mit der Abfrage der Risikobereitschaft der Anlegerin. Konkret ging es um die Unvereinbarkeit von Anlageempfehlung und Risikobereitschaft.
Im Rahmen einer Anlagenvermittlung gab die Anlegerin auf einem sog. „Beraterbogen“ unter dem Punkt „Anlegermentalität/Anlagestrategie“ „risikobewusst“ an. Sie äußerte dabei allerdings gegenüber dem Anlageberater, dass sie ein Totalverlustrisiko nicht in Kauf nehmen wolle. Im Anschluss kam es zu der Vermittlung einer treuhänderischen Beteiligung an einem geschlossenen Lebensversicherungsfonds über 20.000€ zuzüglich 5% Agio. Die Anlegerin machte sodann einen Schadensersatzanspruch gegen den Anlageberater wegen fehlerhafter Anleger- und Anlageberatung geltend.
Das Gericht führte in seinem Urteil im Hinblick auf die generellen Beraterpflichten aus, dass es gerade die Aufgabe des Anlageberaters sei, ausschließlich Produkte zu empfehlen, die mit den Anlagezielen des Kunden – Anlagezweck und Risikobereitschaft – tatsächlich übereinstimmen. Um seiner Pflicht zur anlagengerechten Empfehlung nachzukommen, habe sich der Anlagenberater daher grundsätzlich vor der jeweiligen Anlageempfehlung nach der Risikobereitschaft des Anlegers zu erkundigen. Außerdem habe er sich noch vor einer Anlageentscheidung des Anlegers die Gewissheit zu verschaffen, dass dieser die Risiken des Finanzproduktes auch tatsächlich in jeder Hinsicht verstanden hat.
In dem zu entscheidenden Fall hätte die streitgegenständliche Anlage nur einem Anleger mit hoher Risikobereitschaft empfohlen werden dürfen. Insofern war unstreitig, dass die vermittelte Beteiligung mit der Anlegermentalität/Anlegerstrategie und dem Anlageziel der Anlegerin nicht vereinbar war. Dahingehend stellte der BGH fest, dass es im Rahmen einer anlegergerechten Beratung zwingend erforderlich sei, den Kunden über die Unvereinbarkeit der Anlage mit der Anlagementalität bzw. den Anlagezielen aufzuklären. Nur so könne gewährleistet werden, dass der Kunde frei entscheiden kann, ob er diese – seiner Risikobereitschaft nicht entsprechende – Anlage trotzdem zeichnen möchte.
Vorliegend hatte sich der Anlageberater im Vorfeld nicht die erforderliche Gewissheit verschafft, dass die Anlegerin die Risiken des Finanzproduktes tatsächlich in jeder Hinsicht verstanden hatte. Insofern hätte der Anlageberater ausdrücklich auf die Unvereinbarkeit zwischen Risikobereitschaft und Anlageempfehlung hinweisen müssen. Eine derartige Aufklärung war vorliegend jedoch nicht erfolgt. Insbesondere sei für eine derartige Aufklärung ein Kurzhinweis auf einige Risiken der Beteiligung auf dem Beraterbogen nicht ausreichend. Damit kam das Gericht zu der Entscheidung, dass der Berater seine Pflichten im Rahmen einer anlegergerechten Beratung verletzt hatte.
Der BGH führte weiter aus, dass der Anlegerin insbesondere auch keine grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen sei. Zwar habe sich die Anlegerin widersprüchlich verhalten, indem sie sich in dem Beratungsbogen als „risikobewusst“ eingestuft und zugleich erklärt hatte, dass ein Totalverlustrisiko nicht in Kauf genommen werden wolle. Allerdings waren die in dem Beraterbogen aufgeführten Hinweise, dass es „im schlimmsten Fall zu einem teilweisen oder ganzen Verlust der Einlage“ kommen könne, unter der irreführenden Überschrift „Kumulation“ enthalten. Zudem war der Text in sehr kleiner Schrift gehalten. Das Totalverlustrisiko sei optisch daher zu unauffällig dargestellt, sodass der Anlegerin dahingehend allenfalls einfache Fahrlässigkeit angelastet werden könne.
Die anlegergerechte Beratung ist immer wieder Bestandteil höchstrichterlicher Entscheidungen. Der Fall zeigt erneut auf, wie wichtig eine umfassende Risikoaufklärung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Kapitalanlagen ist (siehe hierzu außerdem auch: Anleger- und objektgerechte Beratung). Es ist daher stets empfehlenswert sich frühzeitig an eine im Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierte Kanzlei zu wenden. Weitere Informationen finden Sie zudem unter: Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:
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