Die maßgeblichen Informationen, die der Versicherungsnehmer im Falle einer Invaliditätsfeststellung einreichen muss, werden zumeist im Wege eines Vordrucks des Versicherers abgefragt. Dabei stellt sich die Frage, ob die Invaliditätsfeststellung durch ärztlichen Vermerk auf Vordruck ausreichend sein können (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.01.2022 – Az. 7 U 130/16).
Die Versicherungsnehmerin will die beklagte Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Ihr Ehemann stürzte infolge von Glatteis auf den Hinterkopf. Durch anschließende Komplikationen kam es zu einer Hautnekrose des rechten Fußrückens. Zudem erlitt er Koordinationsstörungen, Darmentleerungsstörungen und Harnkomplikationen.
Nach dem Versicherungsvertrag zahlt der Versicherer ab einem Invaliditätsgrad von 50% eine monatliche Unfallrente. Voraussetzung hierfür ist, dass die in den Versicherungsbedingungen festgelegten Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung vorliegen. Danach ist es erforderlich, „dass die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (Invalidität), die Invalidität innerhalb eines Jahres eingetreten und innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt wurde.“
Nach Anzeige des Versicherungsfalls versandte der Versicherer einen Vordruck an die Versicherungsnehmerin. Hierin wies er auf die Folgen eines Fristversäumnisses der ärztlichen Feststellung hin. Auf dem Vordruck wurde der Versicherungsnehmer gefragt, welche dauerhaften Folgen infolge des Unfalls bestehen könnten. Diese Angaben sollte ein behandelnder Arzt durch das Ankreuzen eines Feldes mit „Ja“ oder „Nein“ bestätigen. Die behandelnde Gemeinschaftspraxis erkannte die angegebenen Folgen des Versicherungsnehmers als dauerhaft an und kreuzte „Ja“ an.
Der Versicherer veranlasste daraufhin eine weitere Überprüfung. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, dass die behauptete Invalidität nicht wie angegeben 50% erreichen könnte. Im Übrigen hätte die Versicherungsnehmerin nicht fristgerecht die Invalidität ärztlich schriftlich feststellen lassen. Es wäre binnen 15 Monaten keine ausdrückliche ärztliche Feststellung der Invalidität vorgelegt worden. Der eingereichte und vom Arzt ausgefüllte Vordruck ersetze keine solche Feststellung.
In erster Linie war wichtig, ob die Invalidität innerhalb der in den Versicherungsbedingungen genannten Frist durch einen Arzt schriftlich festgestellt worden war. Die Versicherungsnehmerin hatte sich nämlich auf die Ausfüllung und Vorlage des übersandten Vordrucks des Versicherers beschränkt. Eine qualifizierte ärztliche Feststellung der Invalidität wurde nicht eingereicht. Die Anzeige des Versicherungsnehmers umfasst nur eine Bestätigung der Angaben des Versicherungsnehmers durch einen Arzt.
Allerdings hat die Versicherung selbst den Vordruck gestaltet und diesen als Vorlage für die Anzeige des Versicherungsfalls konzipiert. Die Verweigerung der Einstandspflicht wegen eines Fristablaufs war nach Ansicht des OLG Frankfurt daher rechtsmissbräuchlich. Für die Rechtsmissbräuchlichkeit sprach nach Ansicht des Gerichts insbesondere, dass die Versicherungsnehmerin gerade deswegen keine weiteren Feststellungen zur Invalidität unternommen hatte, weil das Verhalten des Versicherers den Eindruck vermittelt hatte, der Versicherungsnehmer müsse aufgrund eines Tätigwerdens des Versicherers nichts Weiteres mehr veranlassen. Das Formular mit den Fragen nach Dauerfolgen erweckte hinreichend das Vertrauen des Versicherungsnehmers, dass er in dieser Angelegenheit, zu keinen weiteren Bemühungen veranlasst ist. Die Bewertung der tatsächlichen Invalidität kann somit auch nach Ablauf der Frist getroffen werden.
Der Versicherungsnehmer konnte anschließend infolge einer Auswertung und aus der Gesamtschau aller angefertigten Gutachten nachweisen, dass er eine 50%-ige Invalidität erlitten hat.
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Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, die Invalidität binnen einer starren Frist anzuzeigen. Im Einzelfall kann der Versicherer aber durch sein Verhalten dafür gesorgt haben, dass der Versicherungsnehmer der Annahme unterlag, keine weiteren Bemühungen einleiten zu müssen. Dem Versicherer ist es dann verwehrt sich auf eine verfristete Anzeige der Invalidität zu berufen. es Im Streitfall sollte daher unbedingt einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles betraut werden.
Weitere Informationen und Rechtsprechungen sind im Bereich „Unfallversicherung“ zu finden.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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