Kann der Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung selbst Versicherungsvermittler sein? (EuGH)

Mit Urteil vom 29.09.2022 hat der Europäische Gerichtshof (C-633/20) entschieden, dass der Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung selbst Versicherungsvermittler sein kann, wenn er Dritten eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihm abgeschlossenen Gruppenversicherung gegen Vergütung anbietet.

Versicherungsnehmer hatte keine Gewerbeerlaubnis i.S.d. § 34 d GewO

Hintergrund des Urteils ist eine Unterlassungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Das beklagte Unternehmen beauftragte Werbeunternehmen damit, im Wege der Haustürwerbung, Verbrauchern gegen Entgelt den Beitritt zu einer Gruppenversicherung anzubieten. Dazu hatte die Beklagte einen Gruppenversicherungsvertrag mit Versicherungsschutz für Erkrankungen und Unfall bei Auslandsreisen, sowie für Auslands- und Inlands- Rückholkosten bei der Würzburger Versicherung AG abgeschlossen. Als Versicherungsnehmerin zahlt die Beklagte die Prämien an die Versicherungsgesellschaft. Die Kunden, die der von dieser abgeschlossenen Gruppenversicherung beitreten, zahlten ihr hierfür wiederum ein Entgelt.

Der § 34 d Abs. 1 GewO sieht vor, dass derjenige, der gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungs- und Rückversicherungsverträgen vermittelt, einer Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer bedarf. Weder die Beklagte selbst noch die von ihr beauftragten Werbeunternehmen verfügten über diese gewerberechtliche Erlaubnis. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. war der Ansicht, dass die Tätigkeit der Beklagten derjenigen eines Versicherungsvermittlers entspreche und es damit einer solchen Erlaubnis bedürfe. Nach erfolgter Abmahnung klagte er daher auf Unterlassung dieser Tätigkeit.

Während der Klage in der ersten Instanz vor dem LG Koblenz stattgegeben wurde. Hob das OLG Koblenz im Zuge der Berufung die Entscheidung mit der Begründung auf, dass die Beklagte kein Versicherungsvermittler i.S.d. § 34 d GewO sei und es daher auch keiner Erlaubnis i.S.d. § 34 d Abs. 1 GewO bedürfe.

Vorlagefrage des BGH an den EUGH

Der BGH kam schließlich zu der Ansicht, dass eine Entscheidung in dem Rechtsstreit maßgeblich davon abhänge, ob die Beklagte als Versicherungsvermittlerin i.S.d. Unionsrecht anzusehen sei und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor.

Die Entscheidung des EuGH:

Bislang ging man im deutschen Recht davon aus, dass der Versicherungsnehmer eines Vertrages nicht gleichzeitig Vermittler des eigenen Vertrages sein konnte. Dies wurde – wie auch in dem vorliegenden Fall – oft im Rahmen von Gruppenversicherungsverträgen genutzt, um entgeltlich Versicherungsschutz zu vermitteln, ohne eine Versicherungsvermittlungserlaubnis zu haben. Hier schiebt der EuGH mit seiner Entscheidung nun einen Riegel vor.

Ein entgeltliches Angebot zum Beitritt in eine Gruppenversicherung stellt nach Ansicht des EUGH eine Versicherungsvermittlung dar. Die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung beziehungsweise des Versicherungsvertriebs umfasse nämlich das Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung. Das Anbieten eines freiwilligen Beitritts zu einem Gruppenversicherungsvertrag sei mit Tätigkeiten vergleichbar, die darauf gerichtet seien, dass Versicherungsnehmer mit einem Versicherer Versicherungsverträge abschließen. Insbesondere stehe dem nicht entgegen, wenn der Anbieter selbst als Versicherungsnehmer Partei des Gruppenversicherungsvertrags ist, zu dessen Beitritt er seine Kunden veranlassen möchte. Denn die Eigenschaft als Versicherungsvermittler sei mit der Eigenschaft als Versicherungsnehmer gerade nicht unvereinbar.

Weitere Voraussetzung für die Eigenschaft als „Versicherungsvermittler“ i.S.d. Unionsrecht sei, dass die Tätigkeit gegen eine Vergütung ausgeübt werde. Im vorliegenden Rechtsstreit lag auch diese Voraussetzung vor, denn jeder Beitritt in die Gruppenversicherung führte letztlich zu einer Zahlung an die Beklagte.

Zuletzt wies der EuGH für die genannten Tätigkeiten von Gruppenversicherungsnehmern mit Blick auf den Verbraucherschutz auch ausdrücklich auf die entsprechenden Zulassungs- und Eintragungspflichten hin.

Fazit:

Erhält ein Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung für das Anbieten von Beitritten zur Gruppenversicherung an Dritte eine Vergütung, kann er nach Ansicht des EuGH als Versicherungsvermittler einzustufen sein. Gruppenversicherungsnehmer, die Verbrauchern gegen Entgelt Versicherungsschutz unter ihrer Gruppenversicherung verschaffen, sollten daher unbedingt eine weiterführende Beratung im Hinblick auf eine Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer i.S.d. § 34 d GewO einholen.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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