Berufsunfähigkeit Invalidität Unfall Versicherung Rechtsanwalt Krankentagegeld

Umorganisation eines Friseurmeisters nach Berufsunfähigkeit (OLG Dresden)

Ist eine Umorganisation eines Friseurmeisters in der Berufsunfähigkeitsversicherung auch dann unzumutbar, wenn es sich um einen größeren Betrieb handelt? Darüber hatte das Oberlandesgericht Dresden zu befinden (OLG Dresden, Urt. v. 22.02.2022 – 4 U 1585/21).

Umorganisation bei Berufsunfähigkeit eines Friseurmeisters

Der klagende Versicherungsnehmer ist Friseurmeister und unterhält eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Er ist als selbständiger Friseurmeister tätig und betrieb einen Salon, in dem er wechselnd ca. 15 bis 19 Mitarbeiter beschäftigte.

Im Juli 2014 stellte der Friseurmeister sich u. a. wegen Schmerzen in beiden Armen bei seinem Hausarzt vor. Konkret klagte er über Schmerzen, die von der Halswirbelsäule bis in die Hände zogen und links stärker waren. Es wurde daraufhin eine Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Seine Krankentagegeldversicherung erbrachte daraufhin Leistungen. Im Juli 2015 wurde ihm jedoch mitgeteilt, dass die Zahlungen wegen Vorliegens von Berufsunfähigkeit eingestellt werde. Der Friseurmeister stellte daraufhin um Juli 2015 einen Antrag auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Der Versicherer lehnte seine Eintrittspflicht mit der Begründung ab, es sei dem Friseurmeister eine Umorganisation seiner beruflichen Tätigkeiten möglich.

Gegen die Leistungsablehnung richtete sich die Klage des Versicherungsnehmers (weitere Infos zum Ablauf des Gerichtsprozesses gegen BU-Versicherer siehe auch Der Prozess gegen den Versicherer). Das Landgericht Dresden gab der Klage statt. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der beklagten Berufsunfähigkeitsversicherung.

OLG Dresden bejaht Berufsunfähigkeit eines Friseurmeisters

Die Berufung des Versicherers hatte jedoch keinen Erfolg. Zu Recht habe das Landgericht einen Anspruch des Friseurmeisters gegen den Versicherer auf Zahlung einer u.a. Berufsunfähigkeitsrente bejaht. Dem Friseurmeister sei der Beweis dafür, dass bei ihm Berufsunfähigkeit eingetreten ist, gelungen.

Letzte konkrete Berufsausübung ist maßgebend!

Der Versicherungsnehmer habe sein Berufsbild ebenso wie die Einschränkungen in der Berufsausübung, die sich aus seiner Erkrankung ergeben, schlüssig dargelegt und auch zur Überzeugung des Senats bewiesen. Dazu führte der Senat aus, dass grundsätzlich hierfür die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend sei, so wie sie „in gesunden Tagen“ ausgestaltet war, d. h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war. Dazu müsse bekannt sein, wie das Arbeitsumfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt.

Als Sachvortrag genüge dazu nicht die Angabe des Berufsbildes und der Arbeitszeit, vielmehr müsse eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden. Dabei dürfe es nicht aus dem Blick geraten, dass die Klärung des Berufsbildes vornehmlich den Zweck verfolgt, dem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in die Hand zu geben, so das OLG Dresden.

Ihre Versicherung zahlt nicht?

Rechtsanwalt für Versicherungsrecht

Bundesweite Vertretung durch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow vertritt ihre Mandanten bundesweit vor Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandesgerichten. Unsere Rechtsanwälte unterstützen Sie dabei, zu Ihrem Recht zu kommen und stehen Ihnen zunächst gerne für einen kostenfreien Erstkontakt zur Verfügung.

Zur Kontaktaufnahme

Umorganisation des Betriebs ist unzumutbar!

Schließlich sei dem Friseurmeister auch eine Umorganisation seines Betriebes nicht zumutbar gewesen. Der mitarbeitende Betriebsinhaber habe dabei zur Möglichkeit der Umorganisation vorzutragen. Zu seiner Vortrags- und Beweislast gehöre auch, dass ihm eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnet, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden. Die berufliche Tätigkeit des mitarbeitenden Betriebsinhabers werde zum einen dadurch gekennzeichnet, dass er ein bestimmtes betriebliches Arbeitsfeld durch eigene Tätigkeit ausfüllt, zum anderen – und vor allem – aber auch dadurch, dass ihm das betriebliche Direktionsrecht, die Weisungsbefugnis gegenüber seinen Mitarbeitern zukommt. Dieses Direktionsrecht, das auch die Möglichkeit einer Umverteilung der Arbeit einschließt, gebe seiner Stellung im Betrieb das Gepräge. Sein „Beruf“ sei daher die Leitung des Betriebes unter seiner Mitarbeit an einer von ihm bestimmten Stelle.

Die Umorganisation müsse aber für den Versicherungsnehmer zumutbar sein. Die Beurteilung der Zumutbarkeit verlange eine Gesamtbetrachtung der dem Betriebsinhaber nach einer – betrieblich sinnvollen – Umorganisation trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch verbleibenden Tätigkeitsfelder. An der Zumutbarkeit fehle es nach Ansicht des Senats, wenn die Umorganisation mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist. Nach Durchführung der Umorganisation müsse noch ein adäquater Arbeitsplatz im Sinne einer „vernünftigen Arbeit“ im Unternehmen verbleiben.

Weiter führt der Senat aus, dass der Versicherte sich nicht auf eine Umorganisation verweisen lassen müsse, wenn er damit nur noch einer „Verlegenheitsbeschäftigung“ nachgehen könnte. Ebenso wenig sei es ihm zumutbar, eine Veränderung seines Arbeitsfeldes vorzunehmen, wenn dadurch die Arbeit ihre prägenden Merkmale völlig verliert. Der Versicherungsnehmer könne im vorliegenden Fall ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen die handwerklichen Leistungen eines Friseurmeisters nicht erbringen und damit 76 % der Leistungen, die er bislang erbracht hat. Eine Umorganisation seines Arbeitsfeldes und Beschränkung seiner Betätigung auf organisatorische Aufgaben und die Rezeption sei ihm nicht zumutbar, so das Gericht.

Beruf des Friseurs ist geprägt vom persönlichen Vertrauensverhältnis

Anders als bei anderen handwerklichen Berufen sei der Beruf des Friseurs geprägt durch ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Friseur. Es handele sich um eine körpernahe Dienstleistung, die ein gewachsenes Vertrauen erfordert. Anders als bei anderen handwerklichen Tätigkeiten sei es dem Kunden daher nicht gleichgültig, von welchem der im Friseursalon tätigen Friseure er bedient wird. In der Regel bleibe der Kunde an einen Friseur gebunden, mit dem er zufrieden ist. Darüber hinaus sei es dem Versicherungsnehmer nicht möglich, seine Mitarbeiter zu schulen, qualifiziert fortzubilden und auf die Einhaltung von Qualitätsstandards, insbesondere bei neuen Modetrends, zu achten, wenn er selbst praktisch nicht mehr tätig ist und allenfalls theoretische Anweisungen erteilen kann.

Die Akzeptanz als Chef sowie eine Vorbildfunktion könne unter diesen Umständen nach Auffassung des Senats nicht ausgefüllt werden. Dies schließe eine Umorganisation, für die der zuvor ausschließlich als Friseur tätige Betriebsinhaber auf ausschließlich organisatorische Tätigkeit zurückgeworfen würde, in der Regel aus. Auch könne der Kläger nicht auf eine Tätigkeit ausschließlich als Rezeptionist verwiesen werden. Dadurch verlöre seine Arbeit als Friseurmeister ihre prägenden Merkmale, selbst wenn dem Versicherungsnehmer das Direktionsrecht verbliebe. Der Friseurmeister hätte dann zwar noch Kunden beraten, organisatorische Aufgaben ausführen, Gespräche führen und Mitarbeiter motivieren können. Übt er aber den Friseurberuf nicht mehr aus, verliere er zunehmend an Kompetenz und Glaubwürdigkeit.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Dresden kann im Ergebnis überzeugen. Das Gericht hat dabei die Zumutbarkeit der Umorganisation des Betriebes des Versicherten gründlich herausgearbeitet und ist neben dessen Vortrag in der mündlichen Verhandlung auch dem Sachverständigengutachten gefolgt und zutreffend eine Umorganisationsmöglichkeit verneint. Bemerkenswert sind dabei auch die Ausführungen des Senats zur Bedeutung des Friseurberufes.

Das Urteil zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere sollten dabei die Voraussetzungen einer Tätigkeitsverweisung genauestens geprüft werden.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Allgemeine Informationen finden Sie auch unter „Versicherungsrecht„, sowie „Berufsunfähigkeitsversicherung„. Für Rechtsfragen steht Ihnen die Kanzlei Jöhnke & Reichow mit ihrem Fachanwalts-Team jederzeit gern zur Verfügung: KONTAKT-FORMULAR.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

Zum Anwaltsprofil

Rechtsanwalt Björn Jöhnke

Mandantenstimmen:

Mit unserer Kompetenz streiten wir ehrgeizig für Ihr Ziel, nämlich Ihre Interessen durchzusetzen! Wir freuen uns, dass unsere Mandanten-/-innen unser Engagement schätzen und positiv bewerten.

Hinweise zu Kundenbewertungen

Bleiben Sie informiert – unser Newsletter!

Verpassen Sie auch zukünftig keinen Beitrag unserer Kanzlei. Über unseren 2mal monatlich erscheinenden Newsletter erhalten Sie stets die aktuellen Beiträge unserer Kanzlei zu den Themen Versicherungsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Vertriebsrecht, Handelsvertreterrecht und Wettbewerbsrecht. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung.