Bindungswirkung eines Sachverständigengutachtens bei Abweichungen (OLG Celle)

Die Schadenshöhe von Wohngebäudeschäden wird oftmals durch ein Sachverständigengutachten ermittelt, wenn in den Versicherungsbedingungen die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vorgesehen ist. Kommen zwei Gutachter zu unterschiedlichen Ergebnissen, so beurteilt ein sogenannter „Obmann“ als dritter unabhängiger Gutachter die Verbindlichkeit der bisherigen gutachterlichen Feststellungen. Welche strengen Anforderungen an die Fehlerhaftigkeit und somit den Entfall der Bindungswirkung eines Obmann-Gutachtens gestellt werden, beleuchtet dieses Urteil des OLG Celle (OLG Celle, Urt. v. 13.12.2012 – Az. 8 U 128/12).

Schadensgutachten nach Hotelbrand

Die Klägerin unterhielt für ihr Hotel bei der beklagten Versicherung eine Wohngebäudeversicherung. Für das Hotel bestand eine gleitende Neuwertversicherung. Im Jahr 2003 wurde das Gebäude in Folge eines Brandereignisses zerstört. Die streitenden Parteien einigten sich darauf, ein Sachverständigenverfahren im Sinne § 84 VVG durchzuführen. Die beauftragten Gutachter legten ein gemeinsames Schadensgutachten vor. Der Kläger bestritt die dort getroffenen Feststellungen und wollte somit die Bindungswirkung des Gutachtens angreifen. Ein weiterer Gutachter untersuchte die Feststellungen und konnte keine offensichtlichen Mängel feststellen.

Bindungswirkung bei Abweichungen?

Das OLG Celle wies die Klage der Versicherungsnehmerin ab. Eine von einem Sachverständigen getroffene Feststellung ist nämlich dann unverbindlich, wenn sie gemäß § 84 Abs. 1 VVG offensichtlich von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. Die Bewertung, ob eine derartig offensichtliche Abweichung vorliegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu treffen. Hierbei ist beachtlich, dass das Sachverständigenverfahren als spezieller Prozess ausgestaltet ist, der abseits von juristischen Erwägungen eine objektive Feststellung ermöglichen soll. Für eine objektiv erheblich Abweichung lässt sich kein prozentualer Wert festlegen, es werden Abweichungswerte zwischen 15% bis 25% vertreten. Aber selbst dann, kann eine von dem Versicherungsnehmer hinzunehmende Abweichung vorliegen.

Die Klägerin hat die Richtigkeit der Feststellungen angegriffen. Hat dies aber nicht durch Nachweise belegt, aus denen der Schluss zu ziehen wäre, dass die Sachverständigen ihre Feststellungen fehlerhaft getroffen hätten. Es reicht nicht aus, dass die Klägerin meint, die Feststellungen lassen einzelne Umstände unberücksichtigt. Vielmehr muss der Kläger belegen, dass der Sachverständige falsche Berechnungs- oder Schätzungsgrundlagen oder unrichtige Bewertungsmaßstäbe angewandt hat. Hierzu konnte die Klägerin keinen tragfähigen Vortrag leisten. Die Arbeit der Sachverständigen erfolgte somit ordnungsgemäß.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Im Zusammenhang mit Sachverständigengutachten ist zu berücksichtigen, dass die Gutachter Feststellungen treffen, die eine Bewertung des Richters ablösen sollen. Der Richter soll seine Entscheidung auf die im Gutachten getroffenen Feststellungen stützend dürfen. Deshalb muss ein Gutachten offensichtlich unrichtig sein, um die Bindungskraft in Frage zu stellen. Im Zusammenhang mit der Durchführung eines Sachverständigenverfahrens sollte ein Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultiert werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechung sind im Bereich „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Gebäudeversicherung“ zusammengefasst. Speziell für die Sachverständigenverfahren wird auf einen diesbezüglichen umfassenden Leitartikel verwiesen: „Sachverständigenverfahren“.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt Björn Jöhnke berichtet über Urteil zum Sachverständigengutachten.

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