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Was passiert bei verspäteter Meldung der Berufsunfähigkeit? (OLG Hamm)

Das Oberlandesgericht Hamm  hatte sich mit der rechtlichen Frage zu beschäftigen gehabt, ob die streitgegenständliche Klausel eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, eine Anspruchsvoraussetzung für die Leistungspflicht des Versicherers oder aber eine Ausschlussfrist im Rahmen dieser Leistungspflicht beinhaltet (OLG Hamm, Urt. v. 28.09.1994 – 20 U 105/94).

Leistungsantrag nach über 1 Jahr

Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei der beklagten Versicherung eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen u. a. die „Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“ (BB-BUZ) zugrunde. Der Versicherungsnehmer beantragte im Februar 1993 die Zahlung einer BU-Rente (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Der Versicherer erkannte den Anspruch rückwirkend ab dem 1. Januar 1993 an. Doch der Versicherte behauptet, er sei bereits seit Oktober 1991 berufsunfähig und verlangte rückwirkende Leistung für den Zeitraum von Oktober 1991 bis Ende Dezember 1992.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Gegen diese erstinstanzliche Entscheidung richtet sich nunmehr die Berufung des Versicherungsnehmers zum OLG Hamm.

OLG Hamm legt Meldeklausel in Versicherungsbedingungen aus

Die Berufung des Versicherungsnehmers blieb jedoch erfolglos. Der Versicherungsnehmer hat gegen den Versicherer keinen Anspruch auf rückwirkende Zahlung von BU-Renten für den gewünschten Zeitraum. Denn gemäß § 1 Nr. 3 BB-BUZ beginne die Beitragsfreiheit und Rente nur dann mit dem Ablauf des Monats des Eintritts der Berufsunfähigkeit, wenn die Anzeige nicht später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit erfolgt. Das Gericht meint, der Versicherungsnehmer habe diese Anzeige versäumt. Ob die Fristversäumung dabei verschuldet sein muss und ob der Kausalitätsgegenbeweis zulässig ist, hänge davon ab, ob es sich bei dieser Regelung um eine Obliegenheit, eine Anspruchsvoraussetzung oder um eine Ausschlussfrist handelt.

Keine Obliegenheit!

Dazu führte das OLG Hamm aus, dass die Regelung in § 1 Nr. 3 BB-BUZ keine (verhüllte) Obliegenheit beinhalte, bei der sich der Versicherungsnehmer von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit entlasten könnte und außerdem die Möglichkeit hat, den Kausalitätsgegenbeweis zu führen. Das Wesen einer Obliegenheit sei darin zu sehen, dass sie dem Versicherten eine bestimmte Verhaltensweise auferlegt, die er beachten muss, um den Versicherungsanspruch zu erhalten. Entscheidend sei dabei, ob dem materiellen Inhalt der Klausel nach das geforderte Verhalten des Versicherungsnehmers im Vordergrund steht, so der Senat.

Nach Auffassung des Gerichts fehle es hier daran. Denn das in der Klausel zum Ausdruck kommende geforderte Verhalten des Versicherten sei in § 4 BB-BUZ, geregelt. So tritt das geforderte Verhalten des Versicherungsnehmers in seiner Bedeutung hinter objektiven Voraussetzungen, nämlich dem Zeitablauf von drei Monaten, zurück, mit denen eine zeitliche Begrenzung des Anspruchs erreicht werden soll.

Keine Anspruchsvoraussetzung!

Weiter führt der Senat aus, dass § 1 Nr. 3 BB-BUZ ebenfalls nicht als Anspruchsvoraussetzung verstanden werden könne. Dagegen spreche schon der Wortlaut. Nach S. 1 „entsteht“ der Anspruch mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Nach S. 2 „beginnen“ Beitragsfreiheit und Rente bei verspäteter Anzeige erst mit Beginn des Monats der Anzeige. Damit werde deutlich, dass der Versicherer grundsätzlich den Anspruch mit Eintritt der Berufsunfähigkeit entstanden ansieht. Auch werde damit deutlich, dass der Versicherer an späteres Verhalten des Versicherten, nämlich an die Versäumung von Fristen, aber bestimmte Sanktionen anknüpft, so das OLG Hamm.

§ 1 Nr. 3 BB-BUZ enthält eine Ausschlussfrist!

Letztlich beinhalte § 1 Nr. 3 BB-BUZ eine Ausschlussfrist, meint das Gericht abschließend. Es werde dem billigenswerten Interesse des Versicherers Rechnung getragen, für beide Seiten Klarheit zu schaffen und den Versicherer vor unbekannten Ansprüchen zu schützen, die ein beträchtliches Ausmaß annehmen könnten. Grundsätzlich sei die Versäumung einer Ausschlussfrist verschuldensunabhängig. Der Versicherer könne sich aber gemäß § 242 BGB dann nicht auf eine Ausschlussfrist berufen, wenn den Versicherungsnehmer keinerlei Verschulden an der Fristversäumung trifft.

Darlegungs- und Beweislast trifft den VN!

Für fehlendes Verschulden treffe dabei den Versicherten die Darlegungs- und Beweislast. Dieser habe jedoch im Streitfall nicht dargetan, dass er ohne jegliches Verschulden gehindert war, den Antrag auf Leistungen rechtzeitig zu stellen. Das Argument der Berufung, die verspätete Anzeige sei letztlich dem Versicherer zugutegekommen und der Kläger dürfe nicht deshalb bestraft werden, weil er bis an die Grenze seiner körperlichen Leistungsfähigkeit weitergearbeitet habe, laufe schließlich ins Leere, so das Oberlandesgericht.

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Fazit und Auswirkungen für die Praxis

Im Ergebnis ist die Entscheidung des OLG Hamm streitbar, hat jedoch durchaus Relevanz für die Praxis. Zutreffend arbeitet der Senat die Bedeutung der Pflichten des Versicherungsnehmers im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung heraus. Dementsprechend hat der Versicherer auch nur dann seiner Leistungspflicht nachzukommen, wenn der Versicherte den Eintritt des Versicherungsfalls und damit seine Berufsunfähigkeit beim Versicherer anzeigt. Das Argument, dass die verspätete Anzeige lediglich dem Versicherer zugutekomme und der Kläger deshalb nicht bestraft werden dürfe, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Problematisch an der Entscheidung ist, dass Versicherte in der Regel nicht sofort nach dem Eintreten einer Erkrankung dem Versicherer eine mögliche Berufsunfähigkeit melden. Vielmehr „schleichen sich Erkrankungen ein“ und münden erst nach vielen Monaten in – beispielsweise – psychischen Erkrankungen. Für die Zeit der Nichtmeldung wird der Versicherer also leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer sich nicht entsprechend „entschuldigen“ kann, ihn also ein Verschulden trifft. Der BGH hatte zu diesen Klauseln bereits im Jahr 1994 entschieden und diese für wirksam gehalten (siehe Anspruchsverlust des Versicherten durch „Verspätungsklauseln“ des Versicherers wirksam?). Die vorliegende Entscheidung lehnt sich also an.

Was sollten Versicherte und Vermittler beachten?

Beruft sich der Versicherer auf Verspätungsklauseln ist stets zu empfehlen, einen entsprechenden Entschuldigungsbeweis dahingehend zu erbringen, dass eine Leistungsbegrenzung vermieden werden kann. Kann der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass ihn hinsichtlich einer Fristversäumung kein Verschulden trifft, so könnten ihm gegenüber Leistungen aus der Versicherung auch für die Vergangenheit erbracht werden.

Für den Fall, dass Versicherungsvermittler Versicherte in BU-Leistungsverfahren begleiten, sollte der Vermittler dem Versicherten zwingend anraten juristischen Rat einzuholen, damit der Einzelfall und damit auch die Entscheidung des Versicherers entsprechend überprüft werden kann.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Allgemeine Informationen finden Sie auch unter „Versicherungsrecht„, sowie „Berufsunfähigkeitsversicherung„. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht. Hier ist ein Leitartikel zu diesem Thema zu finden: Verspätungsklauseln.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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