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Unverschuldet verspätete Meldung der Berufsunfähigkeit nach dreijähriger Arbeitsunfähigkeit? (OLG Saarbrücken)

Die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen eines Berufsunfähigkeitsversicherers, nach der der Anspruch auf Versicherungsleistungen nach Ablauf einer bestimmten Frist nach Eintritt des Versicherungsfalls erst mit Beginn des Monats der Mitteilung entsteht, enthält eine Ausschlussfrist. Doch darf sich der Versicherer auf diese berufen, wenn die Säumnis des Versicherungsnehmers unverschuldet ist? Darüber hatte das Oberlandesgericht Saarbrücken  zu befinden. Das Gericht hatte außerdem zu entscheiden, ob die Säumnis des Versicherten verschuldet ist, wenn er über einen Zeitraum von drei Jahren Arbeitsunfähigkeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er arbeitsunfähig geschrieben war und bereits Ansprüche auf gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente erhoben hatte (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.01.2011 – 5 U 136/10).

Mitteilung der Berufsunfähigkeit nach langer Arbeitsunfähigkeit

Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei dem beklagten Versicherer eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen (AVB) der Beklagten zugrunde, die unter § 1 Abs. 4 die folgende Regelung vorsehen:

“Der Anspruch auf Rente und Beitragsbefreiung entsteht mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Wird uns die Berufsunfähigkeit später als 18 Monate nach ihrem Eintritt schriftlich mitgeteilt, so entsteht der Anspruch auf die Versicherungsleistungen erst mit Beginn des Monats der Mitteilung.”

Der Versicherungsnehmer war seit Ende Juni 2005 fortlaufend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Im Oktober 2005 hat er einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt, der mit Bescheid vom 24. November 2005 abgelehnt worden war. Seine hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Sozialgerichts vom 7. September 2007 abgewiesen. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht erkannte die Deutsche Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend ab dem 1. Oktober 2007 und befristet bis zum 30. September 2010 an und erteilte einen entsprechenden Rentenbescheid.

Im Juni 2008 teilte der Versicherungsnehmer dem Versicherer schriftlich mit, dass er sich „seit 2006 in einem schwebenden Verfahren wegen Erwerbsunfähigkeitsrente befinde“ und bat um Mitteilung, ob für die Gewährung von Versicherungsleistungen ausschließlich die Entscheidung des Landessozialgerichts maßgeblich sei oder „weitere Erläuterungen“ erforderlich seien. Der Versicherer erkannte mit Schreiben vom 26. September 2008 ihre Leistungspflicht wegen Berufsunfähigkeit ab dem Juni 2008 an.

Soweit der Versicherungsnehmer darüber hinaus Versicherungsleistungen auch für den streitgegenständlichen Zeitraum von Juli 2005 bis Mai 2008 gefordert hat, lehnte der Versicherer seine Leistungspflicht mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 unter Hinweis auf eine „verspätete Meldung“ ab. An dieser treffe den Versicherungsnehmer ein Verschulden, weil er zeitgleich mit der Antragstellung bei der Rentenversicherung ohne Weiteres auch einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente habe stellen können (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Es sei davon auszugehen, dass bereits seit der Krankschreibung des Versicherungsnehmers ab dem 21. Juni 2005 bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit (siehe hierzu auch Wann liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor) vorgelegen habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers.

OLG Saarbrücken weist Berufung des Versicherungsnehmers zurück

Die Berufung hat keinen Erfolg. Es komme nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer in dem streitgegenständlichen Zeitraum von Juli 2005 bis Mai 2008 wegen der die Rentenansprüche der Deutschen Rentenversicherung begründenden Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit berufsunfähig im Sinne der Bedingungen des Versicherers gewesen ist, was vom Versicherer nunmehr im Rechtsstreit bestritten werde. Insoweit fehle es bereits an substantiiertem Vorbringen des Versicherungsnehmers, ob und inwieweit er aufgrund welcher konkreten gesundheitlichen Störungen an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gehindert gewesen sein soll. Das Landgericht habe Leistungsansprüche des Versicherungsnehmers für den vorgenannten Zeitraum jedenfalls zu Recht abgelehnt, weil der Versicherer sich auf die in § 1 Abs. 4 S. 2 AVB geregelte Ausschlussklausel berufen könne.

Die streitgegenständliche Klausel – Ausschlussklausel oder Obliegenheit des VN?

Dazu führte der Senat wie folgt aus: Nach § 1 Abs. 4 S. 1 AVB entstehe der Anspruch auf Rente und Beitragsbefreiung grundsätzlich mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Anderes gelte nach der vorgenannten Ausschlussklausel allerdings dann, wenn die Berufsunfähigkeit  später als 18 Monate nach ihrem Eintritt schriftlich mitgeteilt wird. In diesem Fall entstehe der Anspruch auf die Versicherungsleistungen erst mit Beginn des Monats der Mitteilung.

Im Streitfall bestehe eine Leistungspflicht des Versicherers mithin ab Juni 2008. Leistungsansprüche für den davor liegenden Zeitraum seien wegen Versäumung der 18-Monats-Frist ausgeschlossen. Entgegen der Ansicht des Versicherten entspreche es gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass eine Anknüpfung der Leistungspflicht des Versicherers an die rechtzeitige Mitteilung des Versicherungsfalls keine Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Fristeinhaltung, sondern eine Ausschlussklausel beinhalte. Dies entspreche dem berechtigten Interesse des Versicherers, nicht für bereits längere Zeit eingetretene, ihm aber nicht bekannte Ansprüche einstehen zu müssen, deren Aufklärung schon durch den Zeitablauf regelmäßig beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, so das OLG. Letzteres gelte für den Versicherungsfall Berufsunfähigkeit in besonderem Maß, weil die gesundheitlichen Verhältnisse des Versicherten und deren Auswirkungen auf seine berufliche Tätigkeit im Lauf der Zeit erheblichen Änderungen unterworfen sein können.

Weiter führt das Gericht aus, dass dem Interesse des Versicherers, für solche Ansprüche grundsätzlich nicht einstehen zu müssen, sich durch die Begründung einer Obliegenheit nicht Rechnung tragen lasse, weil deren Verletzung selbst bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers nur unter Einschränkungen zu dessen Leistungsfreiheit führen würde. Nach der im Streitfall gemäß Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 EGVVG fortgeltenden Regelung des § 6 Abs. 3 S. 2 VVG (alte Fassung) bleibe er dann leistungspflichtig, wenn die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht Einfluss hatte. Der Kläger könne sich deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte durch die verspätete Anzeige keinerlei Rechtsnachteile erlitten habe.

Zum Verschulden des Versicherungsnehmers

Allerdings weise der Versicherte zu Recht auf die Schwierigkeiten hin, die die Bestimmung des Zeitpunkts des Eintritts des Versicherungsfalls – und damit des Beginns der in den Bedingungen statuierten Frist – dem Versicherungsnehmer bereiten kann. Mangels medizinischer und berufskundlicher Kenntnisse könne es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Einzelfall schwerfallen, die Auswirkungen seiner gesundheitlichen Einschränkungen auf seine berufliche Tätigkeit oder eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit zutreffend einzuschätzen.

Einschränkung der AVB?

Diesem Problem werde indes durch eine Einschränkung der in den Bedingungen des Versicherers angeordneten Folge der Leistungsfreiheit Rechnung getragen: Trifft den Versicherungsnehmer kein Verschulden an der verspäteten Mitteilung des Versicherungsfalls, so hindere diese die Anspruchsentstehung nicht.

Eine Einschränkung sei zwar nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 AVB nicht ausdrücklich vorgesehen. Die Bestimmung sei aber so auszulegen, dass der Versicherer sich auf die Versäumung der Frist zur Anzeige oder Mitteilung nach Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn den Versicherten, was dieser zu beweisen hat, daran kein Verschulden trifft, so der Senat. Der Bundesgerichtshof habe bereits wiederholt entschieden, dass eine solche Auslegung des Ausschlussprinzips, sofern es auf die Untätigkeit des Versicherungsnehmers binnen bestimmter Frist abstellt, unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben im Interesse des sorgfältigen Versicherungsnehmers geboten ist. Die nachteiligen Folgen einer Fristversäumung treffen diesen mithin nur dann, wenn er ein Verschulden daran nicht ausräumen kann, weil nachvollziehbare, verständliche Gründe für die Verzögerung fehlen.

Bewertung des Landgerichts

Letzteres habe das Landgericht im hiesigen Fall zu Recht angenommen. Dass sich der Kläger bei fortdauernder Krankschreibung seit dem 21. Juni 2005 über einen Zeitraum von 18 Monaten nicht über die Auswirkungen seiner Erkrankung auf seine Berufsfähigkeit bewusst geworden sein will, möge nach Auffassung des OLG nicht einleuchten. Dies gelte umso mehr, als er aufgrund eben dieser gesundheitlichen Einschränkungen die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Erwerbsunfähigkeit betrieb, und zwar selbst dann, wenn der Anstoß hierfür von dem Krankenversicherer ausgegangen sein sollte.

Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass die Erwerbsunfähigkeit des Klägers wegen der Zurückweisung des Rentenantrags zunächst nicht zweifelsfrei festgestanden haben mag. Denn auch dies erkläre nicht, aus welchem Grund der Kläger seine Rentenansprüche im sozialgerichtlichen Verfahren weiterverfolgte, eine Geltendmachung der Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung aber unterließ. Dass er angenommen habe, trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen in einem konkreten Verweisungsberuf tätig sein zu können, habe er nicht substantiiert vorgetragen. Er könne sich auch nicht damit entlasten, dass er – wegen des Kostenrisikos – das Ergebnis des sozialgerichtlichen Verfahrens habe abwarten wollen. Dass die verspätete Anzeige den Versicherer daran hinderte, für den fraglichen Zeitraum zeitnah eigene Erkenntnisse zu gewinnen, gehe vorliegend zulasten des Versicherungsnehmers.

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Fazit und Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken ist im Ergebnis streitbar, hat jedoch durchaus Relevanz für die Praxis. Der Senat arbeitet zutreffend die Bedeutung der Pflichten des Versicherungsnehmers im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung heraus. Dementsprechend hat der Versicherer auch nur dann seiner Leistungspflicht nachzukommen, wenn der Versicherte den Eintritt des Versicherungsfalls und damit seine Berufsunfähigkeit beim Versicherer anzeigt. Das Argument, dass der Versicherer durch die verspätete Anzeige keinerlei Rechtsnachteile erlitten habe und der Kläger deshalb nicht bestraft werden dürfe, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Problematisch an der Entscheidung ist, dass Versicherte in der Regel nicht sofort nach dem Eintreten einer Erkrankung dem Versicherer eine mögliche Berufsunfähigkeit melden. Denn Mangels medizinischer und berufskundlicher Kenntnisse kann es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Einzelfall schwerfallen, die Auswirkungen seiner gesundheitlichen Einschränkungen auf seine berufliche Tätigkeit oder eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit zutreffend einzuschätzen. Vielmehr „schleichen sich Erkrankungen ein“ und münden erst nach vielen Monaten in – beispielsweise – psychischen Erkrankungen. Für die Zeit der Nichtmeldung wird der Versicherer also leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer sich nicht entsprechend „entschuldigen“ kann, ihn also ein Verschulden trifft. Der BGH hatte zu diesen Klauseln bereits im Jahr 1994 entschieden und diese für wirksam gehalten (siehe Anspruchsverlust des Versicherten durch „Verspätungsklauseln“ des Versicherers wirksam?). Die vorliegende Entscheidung lehnt sich also an.

Worauf sollten Versicherter und Vermittler achten?

Beruft sich der Versicherer auf Verspätungsklauseln ist stets zu empfehlen, einen entsprechenden Entschuldigungsbeweis dahingehend zu erbringen, dass eine Leistungsbegrenzung vermieden werden kann. Kann der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass ihn hinsichtlich einer Fristversäumung kein Verschulden trifft, so könnten ihm gegenüber Leistungen aus der Versicherung auch für die Vergangenheit erbracht werden.

Für den Fall, dass Versicherungsvermittler Versicherte in BU-Leistungsverfahren begleiten, sollte der Vermittler dem Versicherten zwingend anraten juristischen Rat einzuholen, damit der Einzelfall und damit auch die Entscheidung des Versicherers entsprechend überprüft werden kann.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Allgemeine Informationen finden Sie auch unter „Versicherungsrecht„, sowie „Berufsunfähigkeitsversicherung„. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht. Hier ist ein Leitartikel zu diesem Thema zu finden: Verspätungsklauseln.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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