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Anzeige einer Berufsunfähigkeit bei mehr als sechsmonatiger Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit (OLG Koblenz)

Muss der Versicherungsnehmer das Bestehen einer Berufsunfähigkeit in Betracht ziehen, wenn er über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten hinaus ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt ist? Versäumt er die Fristen schuldhaft, wenn er die objektiv eingetretene Berufsunfähigkeit nicht innerhalb der vertraglich vorgesehenen Fristen dem Versicherer anzeigt? Über diese Fragen hatte das Oberlandesgericht Koblenz zu entscheiden (OLG Koblenz, Beschluss v. 24.02.2016 – 10 U 910/15).

Meldung der Berufsunfähigkeit nach ca. 2,5 Jahre

Die klagende Versicherungsnehmerin unterhält bei der beklagten Versicherung eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitsversicherung, für die die Geltung der „Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung“ (im Folgenden: BBUZ) vereinbart wurden. § 1 BBUZ enthielt u. a. folgende Regelung:

 „2. Der Anspruch auf Beitragsbefreiung und Rente entsteht mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Wird uns die Berufsunfähigkeit später als drei Monate nach ihrem Eintritt schriftlich mitgeteilt, so entsteht der Anspruch auf die Versicherungsleistungen erst mit Beginn des Monats der Mitteilung, es sei denn, die verspätete Anzeige erfolgte ohne schuldhaftes Versäumen des Anspruchserhebenden.“

§ 2 BBUZ enthielt u. a. folgende Regelung:

 „4. Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen, seinen Beruf auszuüben, so gilt die Fortdauer dieses Zustandes als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit. Als Eintritt der Berufsunfähigkeit (§ 1 Abs. 2) gilt in diesem Fall der letzte Tag des sechsten Monats.“

Im März/April 2014 machte die Versicherungsnehmerin gegenüber dem Versicherer eine bereits seit dem 1. Juli 2011 bestehende Berufsunfähigkeit geltend. Der Versicherer erklärte daraufhin die Anerkennung der Berufsunfähigkeit der Versicherungsnehmerin ab Mai 2014, zahlte ab diesem Zeitpunkt die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente und gewährte ihr die vereinbarte Beitragsbefreiung. Zahlungen für die Zeit davor lehnte den Versicherer im Hinblick auf die Regelung in § 1 Nr. 2 BBUZ ab. Die Versicherungsnehmerin begehrte deshalb nunmehr Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum vom 1. August 2011 bis zum 30. April 2014 und Rückzahlung der in dieser Zeit entrichteten Beiträge.

Die Klage der Versicherungsnehmerin wurde vom Landgericht abgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung (weitere Infos zum Ablauf des Gerichtsprozesses gegen BU-Versicherer siehe auch Der Prozess gegen den Versicherer).

Die Entscheidung des OLG Koblenz

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Versicherungsnehmerin stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente sowie Beitragsfreistellung für den Zeitraum August 2011 bis April 2014 nicht zu, da die verspätete Anzeige der Berufsunfähigkeit der Versicherungsnehmerin jedenfalls nicht ohne schuldhaftes Versäumen der Versicherungsnehmerin erfolgte.

Verspätete Meldung der Berufsunfähigkeit

Das OLG Koblenz urteilte dazu, dass auch unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Versicherten der von ihr geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Denn die Versicherungsnehmerin habe ihre Berufsunfähigkeit später als drei Monate nach deren Eintritt der Beklagten schriftlich mitgeteilt, weshalb gemäß § 1 Nr. 2 BBUZ ihr Anspruch auf Versicherungsleistungen erst mit Beginn des Monats der Mitteilung entstanden ist. Denn die verspätete Anzeige erfolgte nicht ohne schuldhaftes Versäumen der Versicherungsnehmerin.

Weiter führt das OLG aus, dass die Versicherte selbst angegeben habe, seit dem 19. Juli 2011 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen zu sein. Unabhängig davon, welche Prognose die Ärzte der Versicherungsnehmerin jeweils vor und unmittelbar nach den verschiedenen Operationen hinsichtlich ihrer künftigen Arbeitsfähigkeit mitgeteilt haben, musste die Versicherungsnehmerin jedenfalls nach einer sechs Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit ernsthaft in Betracht ziehen und dementsprechend einen Leistungsantrag bei dem Versicherer stellen. Denn nach § 2 Nr. 4 BBUZ gelte nach einer sechsmonatigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die Fortdauer dieses Zustands als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit ab dem letzten Tag des sechsten Monats, sodass die Versicherungsnehmerin bereits aufgrund ihrer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit hatte, so der Senat.

Mangelndes Verschulden werde regelmäßig nur dann anzunehmen sein, wenn der Versicherungsnehmer vom Eintritt eines Zustands, der die Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit rechtfertigt, nichts wusste und ihn auch an der Nichtkenntnis ein Verschulden nicht trifft; darlegungs- und beweisbelastet für sein mangelndes Verschulden sei der Versicherte.

Krankschreibung des Versicherten

Nach eigenen Angaben sei die Versicherte ab dem 19. Juli 2011 ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen. Aufgrund der Klausel in § 2 Nr. 4 BBUZ haben damit Umstände vorgelegen, die eine Berufsunfähigkeit als wahrscheinlich erscheinen ließen. Dies zeige auch ihr Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Bund auf Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Leistung werde nämlich Versicherten gewährt, die aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Sie diene der Erhaltung oder Wiedererlangung der Eingliederung des Versicherten in das Berufsleben. Da die Versicherungsnehmerin bereits längere Zeit nicht mehr am Berufsleben teilnahm aufgrund ihrer anhaltenden Krankschreibungen, sei somit ihre Berufsunfähigkeit bereits anzunehmen gewesen, auch wenn sie mit diesem Antrag offenbar eine Wiedererlangung ihrer Berufsfähigkeit anstrebte. Die Stellung dieses Antrags bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zeige jedoch, dass für den Zeitraum vor der Antragstellung aus der Sicht der Klägerin offenbar eine Berufsfähigkeit nicht bestanden hatte.

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Fazit und Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Koblenz ist im Ergebnis streitbar, hat jedoch durchaus Relevanz für die Praxis. Der Senat arbeitet zutreffend die Bedeutung der Pflichten des Versicherungsnehmers im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung heraus. Dementsprechend hat der Versicherer auch nur dann seiner Leistungspflicht nachzukommen, wenn der Versicherte den Eintritt des Versicherungsfalls und damit seine Berufsunfähigkeit beim Versicherer anzeigt.

Problematisch an der Entscheidung ist, dass Versicherte in der Regel nicht sofort nach dem Eintreten einer Erkrankung dem Versicherer eine mögliche Berufsunfähigkeit melden. Denn Mangels medizinischer und berufskundlicher Kenntnisse kann es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Einzelfall schwerfallen, die Auswirkungen seiner gesundheitlichen Einschränkungen auf seine berufliche Tätigkeit oder eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit zutreffend einzuschätzen. Vielmehr „schleichen sich Erkrankungen ein“ und münden erst nach vielen Monaten in – beispielsweise – psychischen Erkrankungen. Für die Zeit der Nichtmeldung wird der Versicherer also leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer sich nicht entsprechend „entschuldigen“ kann, ihn also ein Verschulden trifft. Der BGH hatte zu diesen Klauseln bereits im Jahr 1994 entschieden und diese für wirksam gehalten (siehe BUV: Anspruchsverlust des Versicherten durch „Verspätungsklauseln“ des Versicherers wirksam? (BGH)). Die vorliegende Entscheidung lehnt sich also an.

Beruft sich der Versicherer auf Verspätungsklauseln ist stets zu empfehlen, einen entsprechenden Entschuldigungsbeweis dahingehend zu erbringen, dass eine Leistungsbegrenzung vermieden werden kann. Kann der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass ihn hinsichtlich einer Fristversäumung kein Verschulden trifft, so könnten ihm gegenüber Leistungen aus der Versicherung auch für die Vergangenheit erbracht werden.

Für den Fall, dass Versicherungsvermittler Versicherte in BU-Leistungsverfahren begleiten, sollte der Vermittler dem Versicherten zwingend anraten juristischen Rat einzuholen, damit der Einzelfall und damit auch die Entscheidung des Versicherers entsprechend überprüft werden kann.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Allgemeine Informationen finden Sie auch unter „Versicherungsrecht„, sowie „Berufsunfähigkeitsversicherung„. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht. Hier ist ein Leitartikel zu diesem Thema zu finden: Verspätungsklauseln.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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