Muss der Versicherungsnehmer den Versicherer über das Bestehen von Versicherungsverträgen bei anderen Versicherern informieren? Diese Frage stellt sich im Rahmen der vorvertraglichen sowie vertraglichen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte möchte im Nachfolgenden dazu berichten.
Dazu im Folgenden zunächst die hier relevante gesetzliche Regelung bzgl. Obliegenheiten:
§ 31 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) – Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers
(1) Der Versicherer kann nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist. Belege kann der Versicherer insoweit verlangen, als deren Beschaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden kann.
(2) Steht das Recht auf die vertragliche Leistung des Versicherers einem Dritten zu, hat auch dieser die Pflichten nach Absatz 1 zu erfüllen.
Zur Beantwortung dieser Fragestellung gelten folgende Grundregeln:
Soweit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ein bestimmter Mindestinhalt nicht vorhanden ist, ergibt sich der Inhalt der Auskunftspflicht aus ihrem Zweck, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Damit übernimmt die Auskunftspflicht bei der Leistungsprüfung die Funktion, zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer bestehende Informationsasymmetrien zu beseitigen. Dadurch soll dem Versicherer eine Beurteilung seiner Leistungspflicht anhand aller dafür erforderlichen Informationen ermöglicht werden. Der Versicherungsnehmer muss daher auch solche Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig offenbaren, deren Angabe seinen Eigeninteressen widerstreitet.
Die Erforderlichkeit der Auskünfte gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 a. E. VVG ist nicht im Sinne einer Beschränkung auf das objektiv unbedingt Notwendige zu verstehen. Die Beurteilung erfolgt vielmehr aus einer Ex-ante- Perspektive, wobei der Versicherer einen Beurteilungsspielraum hat. Er kann demnach diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie nur zumindest mittelbar für Grund oder Umfang seiner Leistung bedeutsam sein können. Dies gilt auch für Umstände, die zu Lasten des Versicherungsnehmers gehen. Der Versicherungsnehmer ist aufgrund der Aufklärungspflicht (zumindest aber nach § 242 BGB oder nach § 82 VVG) auch zur Beantwortung von Fragen, durch die Regressmöglichkeiten erkundet werden sollen, gehalten.
Zudem darf der Versicherer (auch formularmäßig) Umstände erfragen, die für das subjektive Risiko (insbesondere der Herbeiführung des Versicherungsfalls) bedeutsam sein können, wie etwa das Bestehen anderweitiger Versicherungen. Dazu zählen neben der Frage nach früheren Versicherungen insbesondere diejenige nach Versicherungsverträgen bei anderen Versicherern. Der Schadenumfang und die Höhe der Eintrittspflicht des Versicherers hängen vom Bestehen anderweitigen Versicherungsschutzes ab. Im Falle der Mehrfachversicherung (§ 78 VVG) trifft den Versicherer ggf. nicht die volle Leistungspflicht.
Schließlich ist anerkannt, dass derartige Umstände unter die vorvertragliche Anzeigepflicht fallen. Ferner besteht kein Grund, nach Eintritt des Versicherungsfalls den Versicherungsnehmer vor der Prüfung des moralischen Risikos zu schonen.
Umstritten ist, ob der Versicherungsnehmer auch zu Angaben verpflichtet ist, die der Versicherer zur Prüfung der Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses benötigt. Dagegen wird angeführt, dass die Auskunftspflicht der Abwicklung des konkreten Schadenfalles diene, nicht aber der Beschaffung von Anfechtungs- und Rücktrittsgründen. Dabei wird indes übersehen, dass zur Feststellung der Leistungspflicht auch die Prüfung von Gestaltungsrechten zählt, die sich darauf auswirken können. Dies entspricht auch dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Versicherungsleistungen. Dem Versicherer ist es regelmäßig nicht möglich, sich die Informationen ohne Mitwirkung des Versicherungsnehmers selbst zu verschaffen. Zudem steht dem Versicherer hinsichtlich der Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Deshalb kommt es auf die Leistungsbeurteilungsgrundsätze des Versicherers an, die er im Streitfall darzulegen hat. Die Auskunftsobliegenheit findet i. Ü. ihre Grenze im Recht des Versicherungsnehmers auf informationelle Selbstbestimmung.
Die Auskunftsobliegenheit des Versicherungsnehmers besteht nach § 31 Abs. 1 VVG erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalls. Bei einem sogenannten gedehnten Versicherungsfall ist der Beginn des Versicherungsfalls maßgeblich. Eine vertragliche Obliegenheit, dem Versicherer, vor Eintritt des Versicherungsfalles Auskünfte zu erteilen, liegt außerhalb des Regelungsbereichs von § 31 VVG. Die Wirksamkeit einer solchen Obliegenheit kann demnach an der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB scheitern. Der Versicherer ist eben dann berechtigterweise bestrebt, alle Umstände in Erfahrung zu bringen, die für die Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs seiner Leistungspflicht erheblich sind, wenn er vom Eintritt des Versicherungsfalles Kenntnis erlangt.
Die Auskunftspflicht umfasst nicht allein Angaben, die der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer zu machen hat. Vielmehr können weitere Mitwirkungshandlungen erforderlich werden, um den Versicherer bei seinen Ermittlungen zum Versicherungsfall zu unterstützen.
Im Ergebnis wird es vom jeweiligen Einzelfall abhängig sein, ob eine Verletzung der (vor-) vertraglichen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vorliegt oder ob diesen im Einzelfall überhaupt eine Obliegenheit trifft.
Weitergehende Leitartikel zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers: Versicherungsrecht: Die spontane Anzeigeobliegenheit der Versicherten – ein Mythos oder gelebte Pflicht?
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Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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