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Verweisung eines Offiziers in der Berufsunfähigkeitsversicherung auf Prüfingenieur (OLG Celle)

Das Oberlandesgericht Celle befasste sich mit der Frage, ob ein Bundeswehroffizier seine Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung verliert, nachdem die Versicherung diesen nach einem Nachprüfungsverfahren auf eine Tätigkeit als Prüfingenieur beim TÜV verwiesen hat. Dabei hatte das Gericht einerseits die soziale Wertschätzung eines Offiziers und eines Prüfingenieurs beim TÜV, andererseits die Vergütungen der beiden Tätigkeiten zu vergleichen (OLG Celle, Urt. v. 14.11.2019 – 8 U 271/18).

Verweisung eines Offiziers

Der Versicherungsnehmer begann als Zeitsoldat seine Offizierslaufbahn. Er studierte zunächst Elektrotechnik und Informationstechnik an der Universität der Bundeswehr. Seit seinem Studienabschluss war er im Dienst als Offizier im Rang eines Leutnants. Nachdem der Versicherungsnehmer Anfang 2014 berufsunfähig geworden und 2015 aus der Bundeswehr ausgeschieden war, nahm er eine Tätigkeit als Prüfingenieur in Fortbildung auf und beendete diese Weiterbildung mit einem staatlichen Abschluss. Nachdem dem BU-Versicherer bekannt wurde, dass der Versicherungsnehmer nun als Prüfingenieur beim TÜV tätig ist, verwies sie den Versicherungsnehmer im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens (weiter Infos siehe auch Das Nachprüfungsverfahren) konkret auf diese Tätigkeit.

Der Versicherungsnehmer wehrt sich gegen diese Verweisung und hält sie für unzulässig, da der Beruf als Prüfingenieur seiner bisherigen Lebensstellung vom Ansehen (als Offizier) und Vergütung nicht entspreche. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen (weitere Infos zum Ablauf des Gerichtsprozesses gegen BU-Versicherer siehe auch Der Prozess gegen den Versicherer).

Die Entscheidung des OLG Celle

Die Berufung des Versicherungsnehmers hatte keinen Erfolg. Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit als Prüfingenieur der bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers entspreche.

Die bisherige Lebensstellung des Versicherungsnehmers werde vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Demnach liege eine Vergleichstätigkeit vor, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Voraussetzung sei ferner, dass die Vergütung und die soziale Wertschätzung der neuen Tätigkeit nicht spürbar unter dem Niveau der alten Tätigkeit liegen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellen, so das OLG. Unter diesen Kriterien sei vorliegend ein Erhalt der bisherigen Lebensstellung in der nunmehr ausübten Tätigkeit des Versicherungsnehmers zu bejahen.

Der Vergütungsvergleich

Das LG sei im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Vergütung der neuen Tätigkeit des Versicherungsnehmers nicht spürbar hinter derjenigen der früheren Tätigkeit zurückbleibt. Sie sei sogar höher. Ob bei dem erforderlichen Vergleich der Einkommen auf das Brutto- oder das Nettoeinkommen abzustellen ist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Der BGH habe beide Methoden gebilligt. Das OLG halte vorliegend jedoch das Abstellen auf das Nettoeinkommen für vorzugswürdig, weil der Versicherungsnehmer als Offizier – anders als Angestellte – freie Heilfürsorge genieße und nicht der Rentenversicherungspflicht unterliege. Dies sei auch vertretbar, da das Abstellen auf das Bruttoeinkommen dem nicht Rechnung trage. Der Vergleich des Nettoeinkommens bilde demgegenüber die wirtschaftliche Situation des Versicherungsnehmers realistisch ab. Über dieses Einkommen könne der Versicherungsnehmer nämlich frei verfügen und hiervon sein Leben gestalten.

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Keine Fortschreibung des erzielten Einkommens

Welches Einkommen aus der früheren Tätigkeit dem Vergleich zugrunde zu legen ist, ist umstritten. Das OLG Celle war zunächst noch davon ausgegangen, dass aufgrund der Besonderheiten des Dienstverhältnisses als Soldat ein fiktives Einkommen zugrunde zu legen sei. Das Gericht korrigierte seine Auffassung und klärte in Ansehung des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des BGH vom 26.6.2019 – IV ZR 19/18 die Rechtsfrage dahin, dass eine Fortschreibung des tatsächlich erzielten Einkommens nicht zu erfolgen habe. Das OLG begründe diese Auffassung wie der BGH damit, dass die Berufsunfähigkeit nicht die künftige Verbesserung der Lebensumstände durch eine positive Lohn- und Gehaltsentwicklung absichere, sondern eben nur die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensstellung im Fall der Berufsunfähigkeit gewährleisten solle. Eine Fortschreibung des bei Eintritt der Berufsunfähigkeit erzielten Einkommens sei nur ausnahmsweise denkbar, wenn beispielsweise aufgrund eines besonders langen Zeitraumes zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit und der Nachprüfung eine objektive Vergleichbarkeit des Einkommens und der damit verbundenen Lebensstellung nicht mehr gewährleistet wäre. Das OLG nehme eine solche Ausnahme jedenfalls dann nicht an, wenn zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit und Nachprüfung lediglich knapp drei Jahre gelegen haben.

Übernahme als Berufssoldat ist nicht „sicher“

Das OLG Celle hat in seinem Beschluss ferner festgestellt, dass die mit der Tätigkeit als Offizier verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten einer Verweisung auf die Tätigkeit als Prüfingenieur nicht entgegenstehe. Die Übernahme eines Zeitsoldaten als Berufssoldat sei keineswegs „sicher“, sondern hänge nicht allein von den Leistungen des Klägers ab. Vielmehr hinge eine Übernahme auch davon ab, welche anderen Bewerber mit welchen Leistungen zum maßgeblichen Zeitpunkt vorhanden waren. Auch sei es möglich, dass der Kläger nach Ablauf seiner 13-jährigen Dienstzeit als Zeitsoldat aus der Bundeswehr ausscheiden müsse und ohne konkrete berufliche Perspektive dastünde, so das Gericht. Dies sei im Vergleich zum unbefristeten Beschäftigungsverhältnis des Klägers beim TÜV nachteilig.

Soziale Wertschätzung der Berufe

Auch eine Einbuße an sozialer Wertschätzung hat das Gericht verneint. Der Kläger habe keine Umstände dargelegt, aus denen sich ein höheres Ansehen des Berufs des Offiziers gegenüber dem Beruf des Prüfingenieurs ergeben würde. Die Ausführungen des Klägers zur Verantwortung als Offizier, auf dessen repräsentativen Aufgaben oder auf das gesellschaftliche Ansehen im Vergleich zur Tätigkeit als Prüfingenieur vermöge nicht zu überzeugen. Unabhängig davon gebe es objektive Anhaltspunkte, die sich im Rahmen von Umfrageergebnissen ergeben haben sollen, dass die soziale Wertschätzung eines Prüfingenieurs nicht geringer zu beurteilen sei als die eines Offiziers. Der Kläger verkenne insoweit, dass es bei der Beurteilung der sozialen Wertschätzung einer Tätigkeit nicht primär auf die Sicht des Betroffenen, sondern auf die der Allgemeinheit ankomme.

Praxishinweis

Die Entscheidung des OLG Celle zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere sollten dabei die Voraussetzungen einer Tätigkeitsverweisung genaustens geprüft werden.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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