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Gesundheitsfragen in der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Umstellung des Versicherungsschutzes (OLG Hamm)

Das Oberlandesgericht Hamm  hatte zu klären, ob der Versicherer zum Rücktritt berechtigt ist, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Umstellung zu einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung auf entsprechende Antragsfragen falsche Angaben macht (OLG Hamm, Beschl. v. 05.06.2020 – 20 U 37/20).

Fortbestand der Berufsunfähigkeitsversicherung?

Der Versicherungsnehmer unterhält eine Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im Rahmen der Leistungsprüfung wegen behaupteter Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers, ist der Versicherer vom Versicherungsvertrag zurückgetreten, weil der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Umstellung des bestehenden Versicherungsschutzes vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe. Der Versicherungsnehmer begehrt nun gerichtlich die Feststellung des Fortbestandes des Versicherungsvertrages.

Das Landgericht hatte die Klage des Versicherungsnehmers jedoch abgewiesen. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Berufung zum OLG Hamm.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Der Versicherungsnehmer hatte vor dem OLG Hamm jedoch keinen Erfolg, denn er habe unstreitig vorsätzlich objektiv falsche und auch gefahrerhebliche Angaben gemacht. Die Frage der Vertragsschlusskausalität sei dabei nicht maßgeblich. Dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt habe, werde nach § 19 Abs. 3 S. 1 VVG vermutet. Die Beweislast für das Nichtvorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit liege daher beim Versicherungsnehmer, so das OLG.

Wann liegt überhaupt Vorsatz vor?

Weiter führte das Gericht aus, dass Vorsatz durch das Zusammentreffen eines Wissens- und eines Wollens-Elements in der Vorstellung der handelnden Person gekennzeichnet sei. Anders als Arglist setze Vorsatz aber nicht voraus, dass der Antragsteller erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde. Im Streitfall sei das Wissens-Element aufgrund der unstreitigen Kenntnis des Klägers von den anzeigepflichtigen Umständen und den gestellten Gesundheitsfragen erfüllt. Auch sei das Wollens-Element gegeben, da der Versicherte jedenfalls die bestehende Vermutung nicht widerlegt habe. Für dieses Element genüge dabei nach Auffassung des Gerichts ein sogenannter bedingter Vorsatz. Der Kläger müsse also nur billigend in Kauf nehmen, dass er falsche Angaben macht.

Es kann hingegen am Vorsatz des Antragstellers beispielsweise dann fehlen, wenn dieser trotz aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers erkennbarer Frage nach einem anzeigepflichtigen Umstand erklären und im Hinblick auf § 19 Abs. 3 S. 1 VVG beweisen könne, dass er die Frage falsch verstanden habe und damit einem beachtlichen Irrtum unterlegen wäre.

Der Kläger handelte vorsätzlich

Dies sei im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht geschehen. Denn dem Kläger sei ausweislich seiner Angaben im gerichtlichen Verfahren klar gewesen, dass er seinen Versicherungsschutz von einer reinen Risikolebensversicherung zu einer Rentenversicherung nebst Risikoschutz änderte. Er habe gewusst, dass sich die Beiträge für die Hauptversicherung erhöhten und er damit umfangreichere Leistungen erhielt. Damit ging auch eine erhebliche Änderung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung einher, so das OLG Hamm. Diese habe nämlich nun im Fall der Berufsunfähigkeit auch die erheblich höheren Beiträge der neuen Rentenversicherung nebst Risikoschutz gedeckt, führte das Gericht weiter aus. Ferner haben sich durch die Vertragsänderung auch die Beiträge der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geändert.

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Gesundheitsfragen waren eindeutig

Das Gericht hielt auch die Gesundheitsfragen des Versicherers für eindeutig. Vor diesem Hintergrund sei es als reine Schutzbehauptung zu werten, dass der Versicherungsnehmer davon ausgegangen sei, dass die Fragen nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2017, sondern auf den Zeitpunkt der ersten Antragstellung im Jahr 2013 beantwortet werden müssten. Denn er ginge doch nach seinen eigenen schriftlichen und mündlichen Angaben davon aus, dass es sich um eine wesentliche, ihm günstige Änderung handele, so weiter das OLG. Im Rahmen einer solchen Änderung bedarf es demnach der – wahrheitsgemäßen –Beantwortung von Gesundheitsfragen.

Dass der Kläger nach eigenem Vortrag “gar nicht nachvollziehen” konnte, dass er “nochmals Fragen zu seiner Gesundheit beantworten musste”, und sie “dann einfach wie ursprünglich einmal im Jahr 2013 mit nein beantwortete”, mache deutlich, dass er sehr wohl verstanden hatte, was der Versicherer von ihm verlangte. Jedenfalls habe er durch sein Verhalten billigend in Kauf genommen, die richtig verstandenen, aber aus seiner Sicht nicht nachvollziehbaren Fragen falsch zu beantworten. Damit habe er Angaben „ins Blaue hinein“ gemacht, was zur Annahme von Vorsatz ausreiche, so das Gericht.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versicherers?

Das Gericht trat auch die Ansicht, dass das Verhalten des Versicherers vorliegend nicht rechtsmissbräuchlich sei. Er habe im Hinblick auf den zusätzlichen Rentenschutz sowie die Abdeckung der dafür zu zahlenden höheren Beiträge durch die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ein elementares Interesse daran, erneut Gesundheitsfragen zu stellen, da sich das Deckungsrisiko im Hinblick auf zwischenzeitliche Änderungen der Gesundheit des Versicherungsnehmers erheblich erhöhte.

Beratungsverschulden des Versicherers?

Weiter liege auch ein dem Versicherer zuzurechnendes Beratungsverschulden nicht vor. Denn die Beklagte habe den Versicherten darüber ausdrücklich und schriftlich aufgeklärt, dass der alte Vertrag aufgehoben würde. Hätte der Kläger allerdings die Gesundheitsfragen zutreffend beantwortet, so hätte ein Risiko für ihn darin entgegen seinem Berufungsvorbringen nicht gelegen. Die Beklagte hätte dann den Antrag nicht angenommen. Somit wäre der alte Vertrag nicht verändert worden, da die Nebenabrede ersichtlich nur greifen sollte, wenn der Antrag auf Änderung angenommen würde. Das Risiko ergebe sich letztlich allein aus der Falschangabe des Versicherungsnehmers, abschließend das OLG Hamm.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Hamm kann im Ergebnis überzeugen. Ändert sich der Versicherungsschutz und bringt dieser eine Art von Mehrleistungen mit sich, so ist der Versicherer berechtigt entsprechende Gesundheitsfragen zu stellen, welche wiederum auch wahrheitsgemäß von dem Versicherungsnehmer zu beantworten sind. Aus diesem Grunde sollten die Gesundheitsfragen stets ernst genommen werden, da ansonsten der Versicherungsschutz – wie hier – gefährdet ist. Wenn der Versicherer den Versicherungsvertrag mittels seines Gestaltungsrechts der Anfechtung zum Erliegen bringt, darf er auch die vom Versicherten gezahlten Prämien behalten und diese auch nicht erstatten. Vermittler sollten ihre Kunden auf die entsprechend aufgeführten Probleme hinweisen und entsprechend auch dokumentieren.

Vor diesem Hintergrund ist es für Versicherte zweckmäßig sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungen geltend gemacht werden. Auch ist an dieser Entscheidung zu erkennen, dass es sinnvoll ist frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten vereitelt werden könnten. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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