Patient hat kostenlosen DSGVO-Auskunftsanspruch auf Behandlungsdaten (LG Dresden)

Wie kommt der Patient als Versicherungsnehmer an seine Patientendaten? Hat der Patient – zum Beispiel – gegen das Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, einen kostenlosen Auskunftsanspruch auf seine Behandlungsdaten? Welche Herausgabeansprüche hat er dabei gegen den Arzt? Über diese Fragen hatte das Landgericht Dresden zu entscheiden (LG Dresden, Urt. v. 29.05.2020 – 6 O 76/20).

Der Sachverhalt vor dem LG Dresden

Die Klägerin war vom 02.10.2019 bis 08.11.2019 in stationärer Behandlung in der Klinik der Beklagten. Am 03.12.2019 forderte sie mit Anwaltsschreiben unter Verweis auf Artikel 15 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; nachfolgend nur: DSGVO) die Beklagte zur unentgeltlichen Auskunft über die bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten auf. Dem Anwaltsschreiben war eine Anwaltsvollmacht beigefügt.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 05.12.2019 eine Übersendung ohne Kostenübernahmeerklärung ab. Mit weiterem Schreiben vom 09.01.2020 beharrte sie auf dieser Rechtsansicht und verwies darauf, dass eine Übersendung der Unterlagen auf einem Datenträger für 5,90 EUR zuzüglich Versandkosten möglich sei.

Die Klägerin trägt vor, dass im Rahmen der stationären Behandlung bei der Beklagten Behandlungsfehler begangen worden seien, die zu einer Beeinträchtigung ihrer Sehfähigkeit geführt hätten. Insoweit geht sie von einem Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 40.000,00 EUR aus. Ihr stehe der entsprechende Auskunftsanspruch zu. Ein Verweis auf eine Kostenübernahme sei nicht gerechtfertigt. Die Vollmacht umfasse auch die Geltendmachung von Ansprüchen entsprechend Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch sei daher begründet.

Die Klägerin beantragte bei Gericht die Beklagte zu verurteilen, ihr eine unentgeltliche Auskunft über die bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen Behandlungsdokumentation im pdf-Format für den Behandlungszeitraum ab 01.09.2019 zu erteilen.

Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Der Auskunftsanspruch sei zu unbestimmt. Eine Behandlung sei entgegen dem Antrag nicht schon ab 01.09.2019, sondern erst ab 02.10.2019 erfolgt. Eine ordnungsgemäße Vollmacht zur Geltendmachung von Ansprüchen nach der DSGVO sei dem Anwaltsschreiben vom 03.12.2019 nicht beigefügt gewesen. Die DSGVO sei vorliegend überhaupt nicht anwendbar. Ein Auskunftsanspruch bestehe daher nur nach § 630g BGB unter Übernahme der Kosten, wozu sich die Klägerin gerade nicht bereiterklärt habe.

Die Entscheidung des LG Dresden

Das LG Dresden gab der Klägerin Recht. Denn der Klägerin stehe der Auskunftsanspruch im geltend gemachten Umfang nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu. Neben der spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB stehe ihr als Patientin auch ein Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO gegenüber der Beklagten zu.

Die Klägerin habe sich vom 02.10.2019 bis 08.11.2019 bei der Beklagten in stationärer Behandlung befunden. Im Rahmen dieser Behandlung seien personenbezogene Daten der Klägerin gespeichert worden. Eine Übersendung der Behandlungsdokumentation sei bisher nicht erfolgt, so das LG Dresden.

Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO

Zunächst führte das Gericht aus, dass der Klägerin nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO ein Anspruch auf Herausgabe der Kopien der personenbezogenen Daten gegen die Beklagte zustehe (siehe hierzu auch: Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: Verhältnis des Auskunftsrechts nach Art. 15 DS-GVO zum Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte nach § 630g BGB). Der Anwendungsbereich der DGSVO sei bei der Speicherung im Rahmen der Gesundheitsbehandlung erhobenen Daten erfüllt. Es komme, entgegen der Rechtsansicht der Beklagten, nicht darauf an, für welchen Zweck der Auskunftsanspruch geltend gemacht wird. Art. 2 Abs. 2a) DGSVO schränke den Anwendungsbereich der Verordnung nur insoweit ein, als dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen.

Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erfolge im Rahmen der Tätigkeit der Beklagten als Gesundheitsdienstleister, die ausdrücklich in dem Erwägungsgrund (63) der Einleitung des DGSVO genannt seien. Mithin sei die Anwendbarkeit der DGSVO gegeben, so das Gericht. Im Übrigen handele es sich bei dem pdf-Format um ein gängiges elektronisches Format im Sinne des Art. 15 Abs. 3 DSGVO.

Kein Vorrang des § 630g BGB vor Art. 15 Abs. 3 DSGVO

Weiter führte das Landgericht aus, dass die Regelung des § 630 g BGB kein Vorrang vor den Bestimmungen des Art. 15 Abs. 3 DSGVO habe. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass eine Reglung auf nationaler Ebene bezüglich einer europarechtlichen Regelung ein Vorrangverhältnis als lex spezialis nicht enthalten könne. Die DSGVO sehe eine Öffnung für anderslautende nationale Regelungen nicht vor. Letztlich sei einem Auskunftsverlangen, welches statt auf § 630g BGB auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO gestützt werde, vollumfänglich zu entsprechen.

Ferner bedürfe es im vorliegenden Fall keiner Klärung, inwieweit eine vollständige Deckungsgleichheit der beiden Anspruchsgrundlagen im Einzelfall nicht gegeben sein kann. Denn unstreitig sei eine Auskunft bisher nicht erfolgt. Dahingestellt bleiben könne es hier daher, inwieweit gegebenenfalls nicht personenbezogene Daten, die ebenfalls in der Behandlungsdokumentation enthalten sind, nicht vom Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst wären.

Liegt eine Unbestimmtheit des Auskunftsanspruchs vor?

Im Streitfall machte die Klägerin den Anspruch auf Übermittlung der Behandlungsdaten für den Behandlungszeitraum ab dem 01.09.2019 geltend. Das LG meint aber, dass dies der Geltendmachung nicht entgegenstehe. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass eine Behandlung stationär erst im Zeitraum 02.10.2019 bis 08.11.2019 erfolgt ist. Demnach führe die Benennung eines früheren Zeitpunktes, ab dem die entsprechenden Unterlagen vorgelegt werden sollen, nicht zur Unbestimmtheit des Auskunftsanspruches selbst, so das Gericht.

Der Auskunftsanspruch ist kostenlos

Das LG Dresden stellte des Weiteren fest, dass die Beklagte die Datenübermittlung nicht von der Übernahme von Kosten in Höhe von 5,90 EUR zuzüglich Versandkosten abhängig machen konnte. Soweit die Klägerin sich auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO zur Begründung ihres Auskunftsanspruchs beruft, sei eine Inanspruchnahme für Kosten der Zusammenstellung und Übersendung der Daten nicht vorgesehen. Vielmehr sei nach Ansicht des LG Dresden die Erstauskunft kostenfrei. Dem stehe nicht entgegen, dass bei einer Anforderung nach § 630g BGB auch für die Erstauskunft eine Kostentragung statuiert ist.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des LG Dresden ist rechtlich absolut nachvollziehbar und dürfte bei Ärzten auf Unbill stoßen. Sie hat nämlich zur Konsequenz, dass jeder Patient, der seinen Auskunftsanspruch explizit auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO stützt, eine Kopie seiner Behandlungsdaten kostenfrei verlangen kann. Eine Patientenauskunft wird sehr häufig bei der Beantragung von BU-Versicherungen durch Versicherungsvermittler genutzt, um den Gesundheitszustand von Versicherten genauestens zu überprüfen. Dieses Vorgehen erscheint auch sehr sinnvoll, damit man im BU-Leistungsfall keine Überraschungen erlegt, wie zum Beispiel das Problem der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit. Liegt eine solche vor, kann der Versicherer Gestaltungsrechte geltend machen (Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Vertragsanpassung). Denn häufig gibt es Behandlungs-Einträge in den Patientenakten über Versicherte durch die behandelnden Ärzte, die jedoch nicht immer der Wahrheit entsprochen haben (siehe hierzu auch die weiterführenden Artikel: „Die Falle: Patientenakte“ Teil 1 und Teil 2).

Nachfolgend ist ein Leitartikel zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung zu finden, in welchem stets aktuelle Verfahren, Urteile und Rechtsstreitigkeiten zusammengefasst werden: Fallstricke Berufsunfähigkeitsversicherung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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