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Berufsunfähigkeit eines Schornsteinfegers (LG Leipzig)

Das LG Leipzig  hatte sich mit der Frage des Bestehens einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit eines Schornsteinfegers zu befassen. Dabei hatte das LG Leipzig zu beurteilen, ob dem Versicherungsnehmer, der als Schornsteinfeger tätig war, auch dann ein Leistungsanspruch gegen den Versicherer zusteht, wenn er keine hinreichenden Tatsachen dazu vorgetragen hat, bis wann die behauptete Höhenangst seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt hat. Insbesondere hat sich dabei das LG damit zu beschäftigen gehabt, ob ein relevanter Vergleichszeitpunkt zur Bemessung der Berufsunfähigkeit vorgelegen hat (LG Leipzig, Urteil vom 18.01.2021 – 3 O 1774/19).

Berufsunfähigkeit eines Schornsteinfegers?

Der klagende Schornsteinfeger begehrt von der beklagten Versicherung die Zahlung rückständiger Leistungen aus Berufsunfähigkeitsversicherung sowie die Beitragsfreistellung, darüber hinaus die Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente aus den beiden Versicherungsverträgen. Der Versicherte absolvierte eine Ausbildung als Schornsteinfeger. Danach war er als Schornsteinfeger beruflich tätig. Sodann wurde er Schornsteinfegermeister und war anschließend als Bezirksschonsteinfeger tätig.

Berufsunfähigkeit wegen Höhenangst?

Bei dem Schornsteinfeger wurden mit amtsärztlichem Gutachten u. a. Akrophobie (Höhenangst), Schwindel und eine Minderung des Leistungsvermögens im bisherigen Beruf als Schornsteinfeger im Umfang von 100% festgestellt.  Aufgrund der eingetretenen Höhenangst sei der Schornsteinfeger seit November 2016 berufsunfähig, weil jedenfalls von da an festgestanden habe, dass er seine berufliche Tätigkeit wie in gesunden Tagen nicht mehr habe aufnehmen können, so dass ihm die geltend gemachten Zahlungsansprüche seit dem Monat Dezember 2016 zustünden. Dem Versicherungsnehmer sei es auf Dauer unmöglich als Schornsteinfegermeister tätig zu sein, weil er jegliche Arbeiten in Höhe nicht mehr ausführen könne. Auch wenn seine bisherigen Dachtätigkeiten addiert nicht 50% der Gesamttätigkeit erreichten, sei zu berücksichtigen, dass die Arbeiten am Boden nicht ohne die Tätigkeiten auf dem Dach beauftragt würden.

Der Leistungsantrag

Im März 2017 stellte der Schornsteinfeger einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beim Versicherer (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Im August 2017 wies der Versicherer ihre Einstandspflicht hinsichtlich beider Berufsunfähigkeitsversicherungen zurück. Der Versicherer ist der Auffassung, dass der Schornsteinfeger nicht vollständig zu seinen beruflichen Tätigkeiten und sonstigen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit vorgetragen habe (siehe hierzu auch Wann liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor).

Überdies liege keine Berufsunfähigkeit eines Schornsteinfegers im Sinne der Versicherungsbedingungen vor. Auch genüge der Schornsteinfeger seiner Darlegungslast zu einer etwaigen Umorganisation nicht. Er habe insbesondere darzulegen und zu beweisen, wie die Betriebsstruktur zu welchen Zeiten war und wer auf welche Art und Weise gearbeitet habe. Weshalb eine Umorganisation wirtschaftlich nicht zumutbar sein sollte, lege der Schornsteinfeger nicht zureichend dar. Daneben fehle es auch an ausreichender Darlegung dazu, wie sich die vom Schornsteinfeger behaupteten Beschwerden konkret auf seine beruflichen (Teil-)Tätigkeiten ausgewirkt hätten. Es erschließe sich insbesondere nicht, dass durchgängig Höhenangst oder Schwindel vorgelegen hätten und dass deshalb gewissermaßen die früheren Arbeiten in ihrer Gesamtheit nicht mehr ausführbar gewesen seien.

Gegen die Leistungsablehnung richtet sich nunmehr die Klage des Versicherungsnehmers.

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Die Entscheidung des LG Leipzig

Die Klage hatte in der Sache keinen Erfolg. Dem Schornsteinfeger stehen keine Ansprüche gegen den Versicherer auf Zahlung von (rückständigen und künftigen) Berufsunfähigkeitsrenten und Beitragsfreistellung aus den zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherungsverträgen zu, da die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit eines Schornsteinfegers gemäß den vereinbarten Versicherungsbedingungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt wurden. Selbst wenn man den Vortrag des Schornsteinfegers zu seinen Gunsten als zutreffend unterstellen würde, sei eine mindestens 50%-ige Berufsunfähigkeit nicht schlüssig dargetan, entschied das LG Leipzig. Überdies wurde auch kein hinreichender Beweis bezüglich der bestrittenen Angaben des Schornsteinfegers insbesondere zur Ausgestaltung seiner Tätigkeit in gesunden Tagen angeboten.

Definition der Berufsunfähigkeit

Das LG Leipzig führte aus, dass Berufsunfähigkeit nach den Versicherungsbedingungen vorliege, wenn bei Stellung des Antrags auf Versicherungsleistung abzusehen ist, dass der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung, Gebrechen oder Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mehr als 6 Monate außerstande sein werde, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben oder der Versicherte schon 6 Monate ununterbrochen infolge von Krankheit, Körperverletzung, Gebrechen oder Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte, die ärztlich nachzuweisen sind außerstande gewesen ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben.

Festgestellt habe das LG Leipzig, dass der Vortrag des Schornsteinfegers schon insoweit nicht hinreichend schlüssig sei, als dass unklar bleibe, wann konkret sich seine berufliche Tätigkeit durch die behauptete Gesundheitsbeeinträchtigung geändert hat, also wann und in welcher konkreten Ausgestaltung er seinen Beruf noch „in gesunden Tagen“ ausübte. Dies sei aber als Vergleichsmaßstab in zeitlicher Hinsicht zwingend erforderlich.

Konkrete Berufsausübung

Bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, sei grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d. h. solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war. Da ein Versicherungsfall bedingungsgemäß erst mit dem Erreichen eines bestimmten Grades von Berufsunfähigkeit eintrete, sei die Heranziehung eines Vergleichszustandes für die Ermittlung des maßgeblichen Grades unerlässlich, so das Landgericht. Dieser Vergleichszustand könne grundsätzlich nur einheitlich gefunden werden und nicht davon abhängen, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sich langsam fortschreitend entwickelt habe oder zeitgleich mit einem plötzlichen Ereignis eingetreten sei. Maßgebend sei demnach grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie in noch gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht beeinträchtigt war. Daher sei entscheidend, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherungsnehmers konkret ausgestaltet war, als er unfähig wurde, sie so fortzusetzen, wie er sie in gesunden Tagen ausgeübt hat.

Hierzu habe der Schornsteinfeger nur unzureichend vorgetragen. So gebe er zwar an, dass es sich bei der entwickelnden Höhenangst um einen schleichenden Prozess handelte und ein bestimmter Zeitpunkt des Berufsunfähigkeitseintritts schwer feststellbar sei. Nach insoweit wechselndem Vortrag habe sich der Schornsteinfeger in der mündlichen Verhandlung für den Beginn der Berufsunfähigkeit als solches auf November 2016 festgelegt. Damit sei jedoch noch nichts dazu ausgesagt, welcher Zeitpunkt für den Vergleichszustand seiner Berufsausübung in gesunden Tagen maßgeblich ist. Der Schornsteinfeger habe es im Einzelnen gänzlich unterlassen vorzutragen, wie sich der “schleichende Prozess” vollzogen hat und ab wann konkret sich Auswirkungen auf seine Berufsausübung zeigten.

Vergleichszeitpunkt zur Bemessung der Berufsunfähigkeit

Trage der Versicherte schon keine hinreichenden Tatsachen dazu vor, bis wann die behauptete Höhenangst „die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht beeinträchtigt hat“ und fehle damit der relevante Vergleichszeitpunkt zur Bemessung der Berufsunfähigkeit, könne auch kein Tätigkeitsbild, was zu diesem Zeitpunkt ausgeübt wurde, festgestellt werden, das als Vergleichszustand heranzuziehen wäre, so das LG Leipzig. Selbst wenn man die vom Schornsteinfeger dargelegte Tätigkeitsbeschreibung hinsichtlich des Beginns des Jahres 2015 als maßgeblichen Vergleichszustand in gesunden Tagen für die Bemessung der Berufsunfähigkeit heranziehen würde, habe er nach Auffassung des LG gleichwohl nicht hinreichend zu seinem konkreten beruflichen Tätigkeitsbild vorgetragen.

Auswirkungen der Erkrankung?

Das LG Leipzig führt weiter aus, dass es für die Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, darauf ankomme, wie sich seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner konkreten Berufsausübung auswirken. Daher müsse bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Schornsteinfegers tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Insoweit sei es Sache desjenigen, der den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend machen will, hierzu substantiiert vorzutragen und Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Als Sachvortrag genüge dazu nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr müsse eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden.

Der Versicherungsnehmer habe darzulegen, in welchem Umfang Tätigkeiten vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung von ihm wahrgenommen worden sind, welche Zeit sie regelmäßig in Anspruch genommen haben und in welcher Häufigkeit sie angefallen sind, denn auch insoweit gehe es um die vom Schornsteinfeger vorzutragende und zu beweisende Ausgestaltung seines konkret ausgeübten Berufes, der den Ausgangspunkt für die Beurteilung gesundheitlicher Berufsunfähigkeit bilde. Erst ein solcher vollständiger Vortrag ermögliche die Beurteilung, ob der Versicherungsnehmer den Anforderungen der konkret ausgeübten Tätigkeit in einem Ausmaß nicht mehr gewachsen ist, den der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit voraussetze.

Darüber hinaus ergebe sich aus dem Vortrag des Schornsteinfegers nicht, dass Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen beider Versicherungen vorgelegen hat. Nach dem Vortrag des Schornsteinfegers führe die von ihm behauptete Höhenangst letztlich einzig dazu, dass er Tätigkeiten auf dem Dach nicht mehr ausführen könne. Von sonstigen relevanten, konkret dargelegten Tätigkeiten in Höhe, die nicht auch Dacharbeiten wären, trage er jedenfalls nichts Konkretes vor. Demnach würde es nach dem üblichen Verständnis für das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit von 50% eines Vortrags des Versicherten bedürfen, der eine zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit beschreibt, die mindestens 50% Dacharbeiten umfasste. Vorliegend sei eben dies jedoch unstreitig nicht der Fall, abschließend das Landgericht.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des LG Leipzig kann im Ergebnis überzeugen und hat hohe Relevanz für die Praxis. Sie zeigt, dass die Darlegung einer möglicherweise vorliegenden bedingungsgenäßen Berufsunfähigkeit für die Einstandspflicht des Versicherers und die Erbringung der vertraglich vereinbarten BU-Leistungen eine zentrale Rolle spielt. Demnach muss ein Versicherungsnehmer genaustens darauf achten, welche Angaben er beim Vertragsschluss und auch beim entsprechenden Leistungsantrag macht, um eine eventuelle Leistungsablehnung zu vermeiden.

Die Entscheidung zeigt damit auch, dass jeder Versicherungsfall im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit vollständig herausgearbeitet werden.

Es ist für Vermittler und Versicherte stets von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen bestenfalls zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt berichtet über Urteil zur Berufsunfähigkeit eines Schornsteinfegers.

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