Auslegung einer Vereinbarung über die Auszahlung der Neuwertspitze (OLG Karlsruhe)

Am 25.06.2020 urteilte das OLG Karlsruhe (Az.: 9 U 8/18) zu einer Auslegung der erfolgten Sicherung der Wiederherstellung eines Wohngebäudes.

Der Sachverhalt vor dem OLG

Der Kläger macht Ansprüche auf die Neuwertspitze aus seiner Wohngebäudeversicherung geltend. Das Gebäude wurde am 28.05.2009 durch einen Brand zerstört vollständig. In der Versicherungspolice war eine gleitende Neuwertversicherung vereinbart. Der Neuwertanteil soll nur dann ausgezahlt werden, wenn die Wiederherstellung binnen drei Jahren gesichert ist. Der Versicherer zahlte nach dem Brand 165.000€ an die Versicherungsnehmerin. Das Haus wurde an den Sohn (Kläger) übereignet und er trat in den Versicherungsvertrag ein. Die Rechtsanwälte der streitenden Parteien traten in Verhandlung, um zu klären, unter welchen Voraussetzungen mit der Auszahlung der Neuwertspitze zu rechnen ist. Es wurde sich in Schreiben vom 03.05. und 09.05.2012 darauf geeinigt, dass:

Zunächst die Entschädigung ausschließlich zur Sicherstellung der Wiederherstellung des Gebäudes (§ 26 Nr. 7 VGB 2002) zu nutzen ist.

– Die Gesamtentschädigungssumme auf den Neuwertentschädigungsbetrag von 466.949,50 € begrenzt wird.

– Die Auszahlung der Neuwertspitze ist aufschiebend bedingt. Die Auszahlung soll anhand von baubranchenüblichen Baufortschritten erfolgen und dafür ist die Entstehung und Fälligkeit der jeweiligen (Abschlags-)Rechnung maßgeblich.

Der Kläger erhielt eine Baugenehmigung und hat ausreichende Verträge mit Bauunternehmern geschlossen und begann den Wiederaufbau, dies teilte er auch der Beklagten mit. Am 22.05.2012 bestätigte der Anwalt der Beklagten, nach Erhalt der Unterlagen zum Wiederaufbau, dass der Fristablauf somit ordnungsgemäß erledigt ist.

Auf Nachfrage verweigerte die Beklagte mit Schreiben vom 10.10.2016 die Zahlung und erklärte, dass der Anspruch auf die Neuwertspitze verjährt ist und keine weiteren Zahlungen zu leisten sind.

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Die rechtliche Wertung des OLG Karlsruhe

Das OLG entschied, dass der Anspruch nicht verjährt ist und vollständig entstanden ist. Dem Versicherungsverhältnis lagen die VGB 2002 zugrunde, welcher hat in § 26 Nr. 7 eine Regelung zur Anspruchsentstehung der Neuwertspitze haben:

„In der Gleitenden Neuwertversicherung und der Neuwertversicherung erwirbt der Versicherungsnehmer den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil) nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sicherstellt, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen.“

Jedoch traten die Parteien am 03.05. und 09.05.2012 in Verhandlungen, die eine Vereinbarung begründete. Die Parteien gingen einvernehmlich davon aus, dass dem Versicherungsnehmer ein über die Zeitwertenschädigung hinaus gehender Anspruch auf die Neuwertspitze zusteht. Diese Vereinbarung wird zur Grundlage des Leistungsanspruches genommen. Die Zahlungen sollen unter der aufschiebenden Bedingung, erst mit Rechnungen der Handwerker erworben werden.

Anerkenntnis der Schuld

Durch das Schreiben am 22.05.2012 erklärte der Anwalt der Beklagten, dass der Ablauf der Frist ordnungsgemäß erledigt ist. Die Bedingungen der Auszahlung wurden im Vorfeld ausgehandelt und die Bestätigung ist auf diese Vereinbarung bezogen auszulegen. Daraus ergibt sich, dass die Ablauffrist von Drei-Jahren zur Sicherung erledigt sein soll.

Auf den Eintritt der einzelnen Bedingungen kommt es dafür nicht mehr an, denn diese beginnen einzeln zu verjähren und deren Frist beginnt erst mit Bedingungseintritt. Also ist die Einreichung der einzelnen Baurechnungen nicht mehr für das grundsätzliche Entstehen des Neuwertanspruches von Nöten. Die einzelnen Teilzahlungsansprüche, die sich an der Höhe der eingereichten Rechnungen bemessen, vermögen nicht das wirksame deklaratorische Eingeständnis der grundsätzlichen Neuwertschuld zu unterlaufen.  Die erledigte Frist zur Sicherstellung der Wiederherstellung wurde bereits festgestellt. Die einzelnen Teilzahlungsfristen beginnen erst mit Bedingungseintritt zu laufen und können deshalb nicht als erledigt erklärt worden sein. Davon kann im Prozess auch nicht mehr abgewichen werden.

Wird eine konkrete Neuwertspitzensumme festgestellt und die Bedingungen für die Auszahlung im Vorfeld vereinbart, kann diese Vereinbarung im Einzelfall so auszulegen sein, dass die Schuld auf Auszahlung der Neuwertspitze bereits deklaratorisch bestätigt wurde.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Neuwertspitze ist ein Anspruch, der, sobald dessen Höhe bestimmt und die Auszahlungsmodalitäten geklärt sind, im Einzelfall bereits besteht.  Wichtig ist dann genau zu ermitteln, was der Versicherer vereinbart hat und ob unter Umständen bereits ein Anerkenntnis der gesicherten Wiederherstellung vorliegt. Zur Aufklärung und den entstehenden Schriftverkehr mit den Versicherungen sollte deshalb ein Fachanwalt für Versicherungsrecht betraut werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Gebäudeversicherung“ zusammengefasst.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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