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Der ausgeübte Beruf des Versicherten bei Berufsunfähigkeit (BGH)

Bestimmt sich der bei Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübte Beruf nach der zuletzt ausgeübten Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung oder nach der Bezeichnung im Versicherungsantrag oder im Versicherungsschein oder nach dem allgemeinen Berufsbild? Darüber hatte der Bundesgerichtshof zu befinden (BGH, Urt. v. 03.04.1996 – IV ZR 344/94).

Was war vorliegend geschehen?

Der klagende Versicherungsnehmer unterhielt bei der beklagten Versicherung eine Lebensversicherung unter Einschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ). Der BUZ liegen Bedingungen zugrunde, die bezüglich des Eintritts des Versicherungsfalles den Musterbedingungen für die BUZ aus dem Jahre 1975 entsprechen. Im Versicherungsantrag ist als Beruf und ausgeübte Tätigkeit „Tennislehrer“ genannt.

Der Kläger arbeitet seit 1982 als selbständiger Tennislehrer. Zuletzt war er Vereinstrainer in einem Tennisclub und spielte in der Mannschaft aktiv mit. Daneben war er als Trainer bei einem weiteren Tennisclub tätig und gab außerdem private Trainerstunden. Im Februar 1988 erlitt er beim Sturz in einen Kellerschacht eine Knieverletzung. Nach zweimaliger Operation wurde der Meniskus entfernt. Aufgrund der Unfallfolgen gab der Kläger seine Tätigkeit als Vereinstrainer auf und erteilte nur noch vereinzelt Tennisunterricht. Er nahm im Mai 1989 eine Teilzeitbeschäftigung als Angestellter einer Fluggesellschaft auf, die er später noch ausübte.

Der Versicherungsnehmer hielt sich seit März 1988 für berufsunfähig. Er hat behauptet, aufgrund der Kniegelenksverletzung als Trainer für die Vereinsmannschaft und für leistungsstarke Spieler nicht mehr einsatzfähig zu sein. Diese Art der Beschäftigung habe seine zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit geprägt. Er sei nur noch in der Lage, Kindern und Anfängern zwei bis drei Stunden täglich Unterricht zu erteilen.

Der Versicherer hat geltend gemacht, der Kläger könne den Beruf eines Tennislehrers noch ausüben. Wie er selbst eingeräumt habe, gebe er noch in erheblichem Umfang Tennisstunden. Auf die Einsatzfähigkeit als Trainer für leistungsstarke Spieler komme es nicht an. Nach der zum Vertragsinhalt gewordenen Angabe im Versicherungsantrag sei er nur in seiner Funktion als Tennislehrer und nicht als Tennistrainer versichert. Davon abgesehen müsse er sich auf den Beruf eines Animateurs, Sportartikelverkäufers oder den von ihm jetzt ausgeübten Beruf eines Angestellten bei einer Fluggesellschaft verweisen lassen.

Das Landgericht hat die auf Zahlung der Rente ab 1. März 1988 gerichtete Klage abgewiesen, weil die Beklagte wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei. Das Berufungsgericht hat dem Kläger eine Rente für die Zeit vom 1. März 1988 bis zum 1. März 1991 nebst Zinsen zugesprochen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Gegen das Berufungsurteil haben beide Parteien Revision eingelegt. Der Versicherungsnehmer verfolgt den geltend gemachten Rentenanspruch mit einer geringfügigen Reduzierung hinsichtlich der Zinsen weiter. Der Versicherer erstrebt die volle Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

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Die rechtliche Wertung des BGH

Die Revisionen beider Parteien haben Erfolg und führen im Umfang der Annahme zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht habe angenommen, der Kläger habe den Nachweis geführt, dass er zunächst zu mehr als 50% berufsunfähig im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen gewesen sei. Ein Sachverständiger habe in seiner Stellungnahme vom November 1988 die Berufsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt mit 100% angegeben und ausgeführt, dass ein Wiedereintreten der Berufsfähigkeit nicht abzusehen sei. Seine Feststellungen und Schlussfolgerungen seien durch das beigezogene Gutachten eines anderen Sachverständigen vom März 1991 und die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht widerlegt. Vielmehr gingen beide Sachverständige gleichfalls davon aus, dass zunächst eine Berufsunfähigkeit des Klägers vorgelegen habe.

Der Senat führt weiter aus, dass aus den Gutachten dieser Sachverständigen sich aber auch eindeutig ergebe, dass sich die Situation für den Versicherungsnehmer durch Zeitablauf erheblich verbessert habe und dass zumindest im März 1991 nicht mehr von einer Berufsunfähigkeit zu 50% für den Beruf eines Tennislehrers auszugehen sei. Beide Sachverständige hätten die Berufsunfähigkeit des Klägers als Tennislehrer für Anfänger nicht mit über 50% bewertet. Zwar hätten sie die Berufsunfähigkeit hinsichtlich der Tätigkeit als Tennistrainer für leistungsstarke Spieler mit über 50% bewertet, darauf komme es jedoch nicht an. Entsprechend den Angaben im Versicherungsantrag sei der Kläger nur als Tennislehrer versichert, nicht als Trainer für Leistungssportler oder als deren Sparringspartner, so der BGH.

Der BGH meint, dass diese Ausführungen zum Nachteil beider Parteien rechtsfehlerhaft seien. Die Feststellungen des Berufungsgerichts bilden keine tragfähige Grundlage für eine positive oder negative Beurteilung der Berufsunfähigkeit.

Wonach bestimmt sich der ausgeübte Beruf?

Im Streitfall sei das Berufungsgericht zum Nachteil des Klägers von einem falschen Begriff des Berufs ausgegangen, zu dessen Ausübung der Versicherte außerstande sein muss. Maßgebend sei nämlich die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung, nicht die Bezeichnung im Versicherungsantrag oder im Versicherungsschein oder das allgemeine Berufsbild.

Daher komme es nach Ansicht des Senats nicht auf die zum Berufsbild eines Tennislehrers gehörenden Tätigkeiten oder auf Ausschnitte daraus („Tennislehrer für Anfänger“) an, sondern auf die vom Versicherten vor dem Unfall im Februar 1988 konkret ausgeübte Tätigkeit. Dazu habe er vorgetragen, dass er nicht nur Kinder und Anfänger unterrichtet habe, sondern dass seine Tätigkeit durch das Trainieren einer Vereinsmannschaft und leistungsstarker Spieler zweier Vereine geprägt gewesen sei.

Abschließend führt der BGH aus, dass für den Eintritt des Versicherungsfalles entscheidend die rückschauende Feststellung des Zeitpunkts sei, zu dem erstmals ein Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigte. Ob der Versicherer in diesem Zusammenhang den Versicherungsnehmer auf einen Vergleichsberuf verweisen kann, lasse sich erst beurteilen, wenn über die vom Kläger zuletzt ausgeübte konkrete Berufstätigkeit die erforderlichen Feststellungen getroffen sind.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BGH überzeugt und zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere ist es dabei unerlässlich, dass der Versicherte der Pflicht zur konkreten Tätigkeitsbeschreibung in gesunden Tagen nachkommt. Liegt eine solche konkrete Arbeitsbeschreibung nicht vor, wird der Versicherte möglicherweise mit einer Leistungsablehnung rechnen müssen.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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