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Maßgebende Berufsausübung für die Berufsunfähigkeit (BGH)

Gibt es für einen Tankstellenpächter ein abstraktes Berufsbild, das erschöpfende Auskunft über dessen Tätigkeit im Einzelnen und den dafür erforderlichen Kenntnissen gibt? Oder ist im Einzelfall festzustellen, welche Arbeit der Versicherte ausgeführt hat, wie die Tankstelle strukturiert war und über welche Vorbildung einschlägiger oder sonstiger Art er verfügt? Darüber hatte der Bundesgerichtshof zu befinden (BGH Urt. v. 22.09.1993 – IV ZR 203/92).

Der Sachverhalt vor dem BGH

Der Kläger hatte seit 1981 zwei Lebensversicherungen mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) bei dem beklagten Versicherer abgeschlossen. Für letztere sind die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ) vereinbart, die bezüglich der maßgeblichen Leistungsvoraussetzungen, nämlich des Eintritts bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit, dem Wortlaut der Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aus dem Jahre 1975 entsprechen. Der Kläger war gelernter Kfz-Mechaniker ohne Meisterprüfung. Seit 1981 betrieb er mit  seinem Partner eine gepachtete Tankstelle mit angeschlossener Reparaturwerkstatt, seit 1985 in Form einer GmbH.

Im Juli 1983 erlitt er bei einem Motorradunfall einen Bruch des fünften und sechsten Brustwirbelkörpers. Im Oktober 1988 machte er einen Anspruch aus der BUZ geltend, weil er körperlich nicht mehr in der Lage sei, Reparaturarbeiten durchzuführen. Der Versicherer ist der Ansicht, dass der Versicherungsnehmer nicht mindestens 50 % berufsunfähig sei, weil er noch voll den kaufmännischen Bereich der Tankstelle wahrnehmen könnte und lehnte den Antrag ab. Der Kläger ist der Auffassung, dass er mangels Ausbildung und mangels Erfahrungen im kaufmännischen Bereich nicht einsetzbar sei.

Das Landgericht gab der Klage des Versicherten statt. Auf die Berufung des Versicherers ist die Klage vom Oberlandesgericht in vollem Umfang abgewiesen worden. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Die rechtliche Wertung des BGH

Die Revision des Versicherten hatte Erfolg. Für einen Tankstellenpächter gebe es kein unverrückbar feststehendes und damit jeden Fall einer Berufsausübung bis in alle Einzelheiten prägendes (abstraktes) Berufsbild, das umfassend und erschöpfend Auskunft darüber gäbe, was der Versicherte tatsächlich gemacht hat, welchen Anforderungen er dabei gewachsen sein musste und wie sein Kenntnis- und Erfahrungsstand dafür zwangsläufig beschaffen sein muss. Daher sei es, wenn es um einen Fall von Berufsunfähigkeit eines Tankstellenpächters geht, unerlässlich, in jedem Einzelfall festzustellen, welche Arbeiten der Versicherte ausgeführt hat, wie der Tankstellenbetrieb strukturiert war oder ist und über welche Vorbildung einschlägiger oder sonstiger Art er verfügt, so der Senat.

Das OLG habe die Ansicht vertreten, maßgeblich für die Beurteilung, ob der Versicherungsfall eingetreten sei, könne allenfalls sein, was der Versicherte Mitte 1988 gemacht habe. Denn er behaupte, seit Oktober 1988 berufsunfähig zu sein. Der Fall nötige nach Auffassung des BGH zur Klarstellung, auf welchen Zeitpunkt bei der Feststellung der maßgeblichen konkreten Berufsgestaltung des Klägers gemäß den vereinbarten Musterbedingungen abzustellen ist.

Ferner stellte der BGH fest, dass die etwaige Berufsunfähigkeit des Klägers nicht zeitgleich mit seinem Verkehrsunfall eingetreten sei. Der Versicherte scheine alsbald nach seinem Motorradunfall zunächst keine nennenswerten Beschwerden gehabt zu haben. Deshalb komme es aus rechtlicher Sicht darauf an, wie sein Arbeitstag bis zu dem Zeitpunkt gestaltet war, von dem an ihn die spürbar werdenden Unfallfolgen zur fortlaufenden Einschränkung seiner bisherigen Tätigkeit zwangen, so der BGH. Das OLG habe vorliegend rechtsirrtümlich auf einen Zeitpunkt abgehoben, zu dem der Versicherungsnehmer nach seinem Vorbringen seinen bisherigen Beruf nicht mehr uneingeschränkt ausübte, ohne eine andere Tätigkeit aufgenommen zu haben.

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Maßgebend ist die letzte konkrete Berufsausübung!

Da der Versicherungsfall bedingungsgemäß erst mit dem Erreichen eines bestimmten Grades von Berufsunfähigkeit eintrete, sei die Heranziehung eines Vergleichszustandes für die Ermittlung des maßgeblichen Grades unerlässlich, meint der Senat. Dieser Vergleichszustand könne grundsätzlich nur einheitlich gefunden werden und nicht davon abhängen, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sich langsam fortschreitend entwickelt hat oder zeitgleich mit einem plötzlichen Ereignis eingetreten ist. Maßgebend sei demnach grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie in noch gesunden Tagen ausgestaltet war, also solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht beeinträchtigt war.

Nach Ansicht des Senats habe der Versicherer allein mit dem Hinweis, der Versicherte könne eine Tankstelle ohne Reparaturwerkstatt pachten und betreiben, noch keinen nach ihren Versicherungsbedingungen in Betracht kommenden Vergleichsberuf aufgezeigt. Der Kläger habe unter Beweisantritt geltend gemacht, Einnahmen hätten sein Partner und er in erster Linie aus dem Reparaturbetrieb, nicht aus der Tankstelle und dem Zubehörverkauf erzielt. Nur weil er für körperliche Arbeiten immer weniger einsetzbar gewesen sei, sei der Betrieb als unrentabel aufgegeben worden. Der beklagte Versicherer habe keine Angaben zu den Verdienstmöglichkeiten eines bloßen Tankstellenpächters gemacht. Schon daran scheitere ihr Verweisungsversuch.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere ist es dabei unerlässlich, dass der Versicherte der Pflicht zur konkreten Tätigkeitsbeschreibung in gesunden Tagen nachkommt. Liegt eine solche konkrete Arbeitsbeschreibung nicht vor, kann der Versicherungsnehmer einer Leistungsablehnung oftmals nicht entkommen.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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