Berufsunfähigkeit Invalidität Unfall Versicherung Rechtsanwalt Krankentagegeld

Sachverständiger ist in der Berufsunfähigkeitsversicherung auf Arbeitsbeschreibung angewiesen! (BGH)

Der Bundesgerichtshof hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob für die Prüfung der Berufsunfähigkeit eines Versicherten festgestellt werden muss, wie sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der konkreten Berufsausübung auswirken. Ist eine konkrete Arbeitsbeschreibung notwendig? Welche Anforderungen werden in diesem Zusammenhang den Pflichten eines Sachverständigen gestellt? (BGH, Urt. v. 22.09.2004 – IV ZR 200/03).

Der Sachverhalt

Der Kläger ist Versicherungsnehmer einer bei der Beklagten gehaltenen Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Versicherte Person ist seine Ehefrau. Nach der Behauptung des Klägers leidet seine Ehefrau an Bronchialasthma und einer Allergie gegen Latex. Weil sie in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als Krankenschwester regelmäßig mit Latex in Kontakt gekommen sei (insb. durch das Tragen von Latex-Handschuhen), habe sie bei der Arbeit unter ständigen Atembeschwerden gelitten und sei seit dem 15. Dezember 1995 zu jedenfalls 50% berufsunfähig. Der Versicherer, der das bestreite, hat den Rücktritt vom Zusatzversicherungsvertrag erklärt und seine auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen wegen arglistiger Täuschung angefochten, weil der Kläger beim Vertragsschluss arglistig Vorerkrankungen seiner Ehefrau verschwiegen habe.

Das LG hat die Anfechtung für wirksam erachtet und die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG zwar festgestellt, der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag sei weder durch die Anfechtung noch durch den Rücktritt der Beklagten aufgelöst worden, im Übrigen hat es die Klagabweisung aber bestätigt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Die Entscheidung des BGH

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht habe angenommen, dass der Kläger den Eintritt einer Berufsunfähigkeit seiner Ehefrau von mindestens 50% nicht bewiesen habe. Im Übrigen habe der Kläger nicht ausreichend zu der Frage vorgetragen, ob seine Ehefrau auf Grund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten nicht wenigstens zu 50% in der Lage sei, eine andere Tätigkeit auszuüben, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspreche. Ihr Bemühen um eine Beschäftigung auf anderen Gebieten zeige, dass sie sich eine andere Tätigkeit zutraue. Das halte rechtlicher Nachprüfung nicht stand, meint der BGH.

VN muss konkrete Arbeitsbeschreibung vornehmen!

Die vom Berufungsgericht als letztlich allein entscheidend angesehene Annahme des Sachverständigen X, die Ehefrau des Versicherungsnehmers sei zu höchstens 30% in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, als Krankenschwester zu arbeiten, beruhe nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage.

Der BGH führte aus, dass es nach seiner Rechtsprechung bei der Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, zunächst darauf ankomme, wie sich seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner konkreten Berufsausübung auswirken. Deshalb müsse bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Insoweit sei es nach Ansicht des Senats Sache desjenigen, der den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend machen will, hierzu substanziiert vorzutragen und im Falle des Bestreitens Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Als Sachvortrag genüge dazu nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr müsse eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden.

Ihre Versicherung zahlt nicht?

Rechtsanwalt für Versicherungsrecht

Bundesweite Vertretung durch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow vertritt ihre Mandanten bundesweit vor Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandesgerichten. Unsere Rechtsanwälte unterstützen Sie dabei, zu Ihrem Recht zu kommen und stehen Ihnen zunächst gerne für einen kostenfreien Erstkontakt zur Verfügung.

Hier Termin vereinbaren!

Die Aufgabe des Sachverständigen

Anschließend sei es Sache des Gerichts dann zu entscheiden, ob zunächst eine Beweisaufnahme zu dem vorgetragenen Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung geboten ist, deren Ergebnis einem anschließend einzuschaltenden Sachverständigen vorzugeben sei. Jedenfalls müsse der Sachverständige wissen, welchen für ihn unverrückbaren Sachverhalt er zu Grunde zu legen hat. Erst dann erscheine es unbedenklich, ihn auch zu Frage und Ausmaß einer gesundheitsbedingten Einschränkung der Fähigkeit des Versicherten, den vorgegebenen Anforderungen gerecht zu werden, Stellung nehmen zu lassen, so der Bundesgerichtshof.

Doch das Berufungsgericht habe hier vor der Beauftragung des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine Feststellungen dazu getroffen oder Vorgaben dazu gemacht, wie sich die berufliche Tätigkeit der Ehefrau des Klägers zuletzt konkret gestaltete und welchen Anforderungen sie im Einzelnen unterlag. Insoweit bleibe offen, an welchen tatsächlichen Vorgaben sich die Einschätzung des Sachverständigen orientiert hat, die Versicherte sei in ihrer Berufsausübung zu maximal 30% beeinträchtigt.

Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast?

Der Senat weist für die neue Verhandlung darauf hin, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger allein trage die Darlegungslast dafür, dass seine Ehefrau auch nicht in einem der früheren beruflichen Tätigkeit vergleichbaren Beruf arbeiten könne, so nicht richtig sei.

Grundsätzlich treffe zwar den Versicherungsnehmer mit der Beweislast für den Eintritt von Berufsunfähigkeit auch die Beweislast dafür, dass keine andere Erwerbstätigkeit in einem die Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfange ausgeübt werden kann. Diesen Negativbeweis könne der Versicherungsnehmer im Regelfall aber nur dann ordnungsgemäß antreten, wenn der Versicherer den von ihm beanspruchten Vergleichsberuf bezüglich der ihn prägenden Merkmale näher konkretisiert. Denn nur dann könne der Versicherungsnehmer das Bestreiten von Berufsunfähigkeit mit substanziierten Beweisangeboten bekämpfen. Der Umfang der Darlegungslast des Versicherers zu den prägenden Merkmalen des Vergleichsberufs hänge dabei jeweils davon ab, was der Versicherer beim Versicherungsnehmer insoweit an Kenntnissen voraussetzen darf, so der Senat.

Praxishinweis für Versicherte und Vermittler

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Unerlässlich ist dabei die Pflicht des Versicherungsnehmers zur konkreten Tätigkeitsbeschreibung. Gelingt ihm dies nicht, wird er möglicherweise mit einer Leistungsablehnung rechnen müssen.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

Zum Anwaltsprofil

Rechtsanwalt Björn Jöhnke

Mandantenstimmen:

Mit unserer Kompetenz streiten wir ehrgeizig für Ihr Ziel, nämlich Ihre Interessen durchzusetzen! Wir freuen uns, dass unsere Mandanten-/-innen unser Engagement schätzen und positiv bewerten.

Hinweise zu Kundenbewertungen

Bleiben Sie informiert – unser Newsletter!

Verpassen Sie auch zukünftig keinen Beitrag unserer Kanzlei. Über unseren 2mal monatlich erscheinenden Newsletter erhalten Sie stets die aktuellen Beiträge unserer Kanzlei zu den Themen Versicherungsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Vertriebsrecht, Handelsvertreterrecht und Wettbewerbsrecht. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung.