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Berufsunfähigkeit anhand der letzten Tätigkeit des Versicherten? (BGH)

Was setzt eine Berufsunfähigkeit des mitarbeitenden Betriebsinhabers voraus? Darüber hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden. Ferner hatte er sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob der mitarbeitende Betriebsinhaber darlegen und beweisen muss, dass ihm eine zumutbare Betriebsorganisation keine gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit eröffnen kann, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würde (BGH, Urt. v. 26.02.2003 – IV ZR 238/01).

Der Fall vor dem BGH

Der Kläger, mitarbeitender Inhaber eines Automatenaufstellbetriebes, unterhält bei der beklagten Versicherungsgesellschaft eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ). Nach den Vertragsbedingungen der gewährt die Beklagte bei teilweiser Berufsunfähigkeit die für vollständige Berufsunfähigkeit festgesetzten Leistungen nur in der Höhe, die dem Grad der Berufsunfähigkeit entspricht.

Der Kläger ist seit 1975 selbständiger Automatenaufsteller, der in Gaststätten Geldspielgeräte, Billardtische und Musikboxen aufstellt. Er wartet und wechselt die Geräte aus, besucht jeden seiner etwa 80 bis 100 Kunden alle 14 Tage auf, um die Automaten zu leeren, das Geld mit Hilfe einer Geldzählmaschine zu zählen, dem Gastwirt seinen Anteil auszukehren und den eigenen Anteil mitzunehmen. Die Abrechnungstätigkeit übte der Kläger persönlich und allein aus, bis er zum 1. Mai 1989 zusätzlich zu den bis dahin von ihm beschäftigten Mitarbeitern (zwei Monteure und für die Büroarbeiten seine Ehefrau) seinen Sohn einstellte, der ihn seitdem auf seinen Abrechnungsfahrten begleitet und ihm das Tragen schwerer Gegenstände abnimmt (Laptop, das eingesammelte Hartgeld, insbesondere aber die 20 kg schwere Geldzählmaschine).

Im Jahr 1986 wurde bei dem Versicherten wegen einer Ulcus-Erkrankung eine 2/3-Magenresektion vorgenommen. Seit 1987 zahlt die Beklagte ihm eine Berufsunfähigkeitsrente. Vom 1. Oktober 1987 bis zum 1. Oktober 1990 betrug sie 60% der vollen Rente; vom 2. Oktober 1990 bis zum 1. Januar 1994 35%, und seit dem 1. Oktober 1990 zahlt die Beklagte 40%.

Demgegenüber begehrt der Versicherungsnehmer ab 1. Januar 1994 die volle Rente mit der Begründung, er sei spätestens seit Anfang 1989 zu mindestens 75% berufsunfähig. Nicht nur habe er nach wie vor erhebliche Magenbeschwerden, deretwegen er täglich fünf kleine Mahlzeiten einnehmen und anschließend jeweils eine halbstündige Ruhepause einhalten müsse, sondern er leide auch an Erkrankungen des Bewegungsapparates, vor allem der Wirbelsäule, der Knie- und der Hüftgelenke, die sich seit den 70er Jahren kontinuierlich verschlimmert und ihm spätestens seit Anfang 1989 das Tragen schwerer Gegenstände, insbesondere der Geldzählmaschine, unmöglich gemacht hätten. Allein aus diesem Grund habe er zum 1. Mai 1989 seinen Sohn als Begleiter bei den Abrechnungsfahrten eingestellt.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Die Entscheidung des BGH

Die Revision hat Erfolg. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Klageabweisung nicht, so der BGH.

Das Berufungsgericht habe ausgeführt, dass der Kläger nicht zu mehr als 40% berufsunfähig sei. Er übe immer noch eine angemessene Tätigkeit aus, weil er weiter seine Mitarbeiter überwache und einsetze, die Kundenwerbung weiterbetreibe und die Spielgeräte entleere und mit seinen Kunden abrechne. Wegen dieser fortdauernden Erledigung seiner alten Aufgaben habe er, ungeachtet der Einstellung eines neuen Mitarbeiters, seinen Betrieb auch nicht umorganisiert.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand, meint der BGH. Berufsunfähigkeit liege nach den Vertragsbedingungen vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit oder Körperverletzung ganz oder teilweise außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Erwerbstätigkeit auszuüben, die seiner Lebensstellung, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessen ist. Bei einem mitarbeitenden Betriebsinhaber müsse zunächst, genau wie bei jedem anderen Versicherten, die Voraussetzung erfüllt sein, dass er zu seiner konkreten beruflichen Tätigkeit, so wie sie bis zum Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung ausgestaltet war, in einem Ausmaß nicht mehr imstande ist. Darüber hinaus müsse der mitarbeitende Betriebsinhaber aber darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass ihm eine zumutbare Betriebsorganisation keine gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit eröffnen kann, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würde.

Bei der Prüfung, ob der Kläger die Tätigkeiten in seinem Betrieb auch nicht auf zumutbare Weise so umschichten kann, dass ihm eine die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließende Tätigkeit verbleibt, sei zu beachten sein, dass der Kläger entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, eine Umorganisation seines Betriebes bereits vorgenommen habe, indem er seinen Sohn einstellte. Es komme deshalb darauf an, ob diese Umorganisation für ihn unzumutbar war, meint der Senat. Eine Umorganisation sei für den Versicherten nur dann zumutbar, wenn sie nicht mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist.

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Letzte konkrete Berufsausübung

Der Senat führte weiter aus, dass im Rahmen der Beurteilung der Berufsunfähigkeit die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend sei, so wie sie noch in gesunden Tagen ausgestaltet war, das heißt solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht beeinträchtigt war. Die Abrechnungstätigkeit des Klägers sei aber bereits lange vor dem 1. Januar 1994, nämlich schon seit dem 1. Mai 1989, dem Tage der Einstellung seines Sohnes als Begleiter, so ausgestaltet gewesen, dass er gar nicht mehr schwer zu tragen brauchte. Denn dies habe ihm seitdem sein Sohn abgenommen. Falls der Kläger seinen Sohn noch „in gesunden Tagen“ eingestellt hatte, habe eine nachträglich eingetretene Unfähigkeit zum Tragen ihn also nicht berufsunfähig gemacht. Jedoch habe der Versicherungsnehmer substantiiert behauptet, dass er bereits seit Anfang 1989 nicht mehr in der Lage sei, schwere Lasten zu heben, und allein aus diesem Grund seinen Sohn als Gehilfen eingestellt habe.

Sei aber somit bislang offen, ob und wie sich die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers Anfang 1989 auf seine Fähigkeit zur weiteren Berufsausübung auswirkten, so fehle es nach Auffassung des BGH an einer Beurteilungsgrundlage dafür, wie hoch der Grad seiner Berufsunfähigkeit anzusetzen ist und ob der Kläger sich durch Umorganisation eine Berufsunfähigkeit ausschließendes Tätigkeitsfeld verschaffen konnte.

Daher könne das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Es sei aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen weiteren Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere ist es dabei von Bedeutung, dass der Versicherungsnehmer seiner Pflicht zur konkreten Tätigkeitsbeschreibung nachkommt, um die behauptete Berufsunfähigkeit nachweisen zu können. Dabei ist ferner von Bedeutung, dass er darlegen und beweisen müsse, dass ihm eine zumutbare Betriebsorganisation keine gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit eröffnen kann, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würde.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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