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Anspruchsverlust in der Berufsunfähigkeitsversicherung durch Verspätungsklausel (BGH)

Im Streitfall hatte der Bundesgerichtshof darüber zu entscheiden, ob eine Klausel in den Versicherungsbedingungen einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung eine Ausschlussfrist für Leistungsansprüche bestimmen kann. Im Zusammenhang damit hatte der BGH auch die Voraussetzungen zum Vorliegen der Kenntnis des Versicherten vom Eintritt der Berufsunfähigkeit zu prüfen (BGH, Urt. v. 02.11.1994 – IV ZR 324/93).

Der Sachverhalt vor dem BGH

Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei der beklagten Versicherung eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (im Folgenden: BB-BUZ) zugrunde, die u.a. folgende Regelungen enthalten:

Ҥ 1.

(3) Der Anspruch auf Beitragsfreiheit und Rente entsteht mit dem Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit (§ 2) eingetreten ist. Erfolgt die Anzeige (§ 4) später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit, so beginnen Beitragsfreiheit und Rente mit Beginn des Monats der Anzeige.

§ 4.

(1) Werden Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beansprucht, so ist dies der Gesellschaft unter Einreichung des Versicherungsscheins und – bei Versicherung mit laufender Beitragszahlung – des Nachweises der letzten Beitragszahlung schriftlich anzuzeigen.

(2) Zum Nachweis der Berufsunfähigkeit sind der Gesellschaft unverzüglich einzureichen:

  1. a) eine Darstellung der Ursache für den Eintritt der Berufsunfähigkeit;
  2. b) ausführliche Berichte der Ärzte, die den Versicherten behandeln, behandelt oder untersucht haben, über Ursache, Beginn, Art, Verlauf und voraussichtliche Dauer des Leidens sowie über den Grad der Berufsunfähigkeit;
  3. c) Unterlagen über den Beruf des Versicherten, seine Stellung und Tätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit sowie über die eingetretenen Veränderungen.

§ 8.

Wird eine Obliegenheit (vgl. §§ 4 und 7) verletzt, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalls der Gesellschaft gegenüber zu erfüllen ist, so ist die Gesellschaft bis zum Ende des Monats, in dem der Anspruchserhebende die Obliegenheit erfüllt, von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grobfahrlässiger Verletzung bleibt die Gesellschaft zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung weder Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der der Gesellschaft obliegenden Leistung gehabt hat.”

Der Versicherte ist seit November 1989 berufsunfähig. Den Eintritt der Berufsunfähigkeit zeigte er dem Versicherer Ende August 1992 telefonisch und Anfang September 1992 so dann schriftlich an (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Der Versicherer erkannte seine Leistungspflicht ab Anfang September 1992 an. Leistungen ab Dezember 1989 lehnte er unter Hinweis auf den Zeitpunkt der Anzeige der Berufsunfähigkeit ab und verwies den Versicherungsnehmer auf § 1 Abs. 3 S. 2 BB-BUZ. Der Versicherungsnehmer hat daraufhin Klage auf Zahlung von Rente für die Zeit vom Dezember 1989 bis August 1992 und auf Rückzahlung der für diesen Zeitraum geleisteten Beiträge erhoben.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten zum BGH.

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Die Entscheidung des BGH

Die Revision hatte Erfolg. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Anspruch des Klägers auf Versicherungsleistungen für den hier streitigen Zeitraum nicht gemäß § 1 Abs. 3 BB-BUZ ausgeschlossen sei, weil die verspätete Anzeige des Eintritts von Berufsunfähigkeit durch den Kläger weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhe. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass dem Kläger einfache Fahrlässigkeit zur Last fällt. Dies habe das Berufungsgericht allerdings nicht geprüft.

Der BGH führt zunächst aus, dass ein Verschulden Voraussetzung dafür sei, dass dem Versicherungsnehmer aus einer verspäteten Anzeige Nachteile erwachsen können. § 1 Abs. 3 BB-BUZ enthalte eine ausdrückliche Verweisung auf § 4 BB-BUZ, mit dem Verhaltensanforderungen an den Versicherungsnehmer gestellt werden. § 8 BB-BUZ nehme ebenfalls ausdrücklich auf die Verhaltensanweisungen in § 4 Bezug und bringe dabei zum Ausdruck, unter welchen Umständen der Versicherungsnehmer einen – auch zeitlich begrenzten – Anspruchsverlust hinnehmen müsse, nämlich bei vorsätzlicher Verletzung der Verhaltensanordnungen und bei deren grob fahrlässiger Verletzung. Aus Wortlaut und Zusammenhang der Bedingungen ergebe sich daher für den verständigen Versicherungsnehmer, dass mit § 8 BB-BUZ geregelt worden sei, unter welchen Voraussetzungen ihn die in § 1 Abs. 3 BB-BUZ bestimmten Rechtsfolgen einer verspäteten Anzeige treffen können.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats seien allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Das verkenne das Berufungsgericht zwar nicht, berücksichtige aber schon Wortlaut und Zusammenhang von §§ 1 Abs. 3 und 4 BB-BUZ nur unzureichend, so der BGH.

Nach § 1 Abs. 3 der Bedingungen entstehe der Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich mit Ablauf des Monats, in dem bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Voraussetzung sei allerdings, dass die Anzeige nicht später als drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit erfolgt ist. Andernfalls beginnen die Leistungen erst mit dem Beginn des Monats der Anzeige.

§ 4 Abs. 2 BB-BUZ bestimme, was dem Versicherer zum Nachweis der Berufsunfähigkeit unverzüglich einzureichen ist. Damit mache schon der Wortlaut von § 4 BB-BUZ deutlich, dass die Anzeige von Berufsunfähigkeit nicht erst mit der Einreichung der gesondert in § 4 Abs. 2 aufgeführten Beweismittel erfolgt ist, sondern bereits mit Zugang der schriftlichen Anspruchsgeltendmachung samt Versicherungsschein und – wenn erforderlich – Beitragszahlungsnachweis.

§ 1 Abs. 3 BB-BUZ bestimmt eine Ausschlussfrist

Nach Auffassung des BGH begründe ferner § 1 Abs. 3 S. 2 BB-BUZ keine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, sondern bestimme eine Ausschlussfrist. Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, die von ihm nach Eintritt des Versicherungsfalles ein bestimmtes Verhalten verlangen, unterscheiden sich von einer Befristung der Geltendmachung oder Anmeldung versicherungsrechtlicher Ansprüche. Im letztgenannten Falle bezwecken die Versicherungsbedingungen nämlich grundsätzlich objektiv eine zeitliche Begrenzung der Leistungspflicht des Versicherers.

Weiter führt der Senat aus, dass eine Versäumung der Anzeigefrist zwar nicht den vollständigen Anspruchsverlust zur Folge habe. Jedoch beginnen Versicherungsleistungen dann erst mit dem Beginn des Anzeigemonats. Mit der Fristversäumung verliere der Versicherungsnehmer also Ansprüche, die in der Zeit zwischen dem Ablauf des Monats, in dem Berufsunfähigkeit eingetreten ist, und dem Beginn des Anzeigemonats entstanden sind. Ansprüche für die Zukunft bleiben unberührt. Die Fristversäumung bewirke demnach einen teilweisen Leistungsausschluss, der sich auf die Zeit vor Beginn des Anzeigemonats beschränkt, so der Bundesgerichtshof weiter.

Entschuldigungsbeweis durch den Versicherten

Auch wenn § 1 Abs. 3 S. 2 BB-BUZ also eine Ausschlussfrist bestimme, so bedeute das noch nicht, dass gegen die Versäumung der Frist zur Anzeige auch ein Entschuldigungsbeweis nicht möglich wäre. Zwar sehen die Bedingungen des Versicherers einen solchen nicht ausdrücklich vor, die Klausel sei aber auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks so auszulegen, dass der Versicherer sich auf die Versäumung der Frist zur Anzeige nach Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn den Versicherungsnehmer daran kein Verschulden trifft.

Kenntnis des Versicherten vom Eintritt der Berufsunfähigkeit

Letztlich genüge es also zunächst, dass der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer mit Erhebung des Anspruchs behauptet, bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sei eingetreten. Darauf, ob deren Voraussetzungen bereits festgestellt oder zu beweisen sind, komme es für die Anzeige nicht an. Es liege auf der Hand, dass dieser Zeitpunkt für den Versicherungsnehmer – der in der Regel über die erforderlichen medizinischen Kenntnisse nicht verfüge – nur schwer bestimmbar sei, so dass er dadurch in Gefahr geraten kann, die Frist des § 1 Abs. 3 S. 2 BB-BUZ zu versäumen. Davon werde nach Auffassung des BGH auch dann auszugehen sein, wenn der Versicherungsnehmer vom Eintritt eines Zustandes, der die Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit rechtfertigte, nicht wusste und ihn auch an der Nichtkenntnis ein Verschulden nicht treffe.

Kenntnis vom Eintritt der Berufsunfähigkeit werde der Versicherungsnehmer nämlich regelmäßig nur und erst durch die Angaben eines Arztes erlangen können, dessen Stellungnahme über seine gesundheitlichen Verhältnisse und über den Grad der Berufsunfähigkeit er ohnehin bedarf (§ 4 Abs. 2 BB-BUZ).

Fazit Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BGH ist nicht ohne Auswirkungen für die Versicherten. Denn in der Regel melden Versicherte nicht sofort nach dem Eintreten einer Erkrankung dem Versicherer eine mögliche Berufsunfähigkeit. Vielmehr „schleichen sich Erkrankungen ein“ und münden erst nach vielen Monaten in – beispielsweise – psychischen Erkrankungen. Für die Zeit der Nichtmeldung wird der Versicherer also leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer sich nicht entsprechend „entschuldigen“ kann, ihn also kein Verschulden trifft.

Im Rahmen von Verspätungsklauseln ist Versicherungsnehmern also stets zu empfehlen, einen entsprechenden Entschuldigungsbeweis dahingehend zu erbringen, dass eine Leistungsablehnung auf Basis der Verspätungsklausel vermieden werden kann. Kann der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass ihn hinsichtlich einer Fristversäumung kein Verschulden trifft, so könnten ihm gegenüber Leistungen aus der Versicherung auch für die Vergangenheit erbracht werden.

Für den Fall, dass Versicherungsvermittler Versicherte in BU-Leistungsverfahren begleiten, sollte der Vermittler dem Versicherten zwingend anraten juristischen Rat einzuholen, damit der Einzelfall und damit auch die Entscheidung des Versicherers entsprechend überprüft werden kann. Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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