Kein Erstattungsanspruch für nicht angefallene Mehrwertsteuer bei entsprechender Klausel (LG Stade)

Mit Urteil vom 01.12.2020 (Az.: 3 O 28/20) stellte das LG Stade die Wirksamkeit einer Versicherungsklausel fest, die eine Auszahlung von Mehrwertsteuern daran knüpft, dass diese tatsächlich angefallen sind.

Sachverhalt

Die Klägerin wollte im Wege der Schadensregulierung nach einem Brand den auf den gesamten Nettoschadenswert entfallenden Mehrwertsteuerbetrag geltend machen. Das betroffene Reetdachhaus wurde mit einer Wohngebäudeversicherung versichert, die in den AVB (§ 13 AVB) die Erstattung von tatsächlich nicht angefallener Mehrwertsteuer ausschließen. Das Gebäude brannte ab. Die beklagte Versicherung leistete den netto Zeitwertschaden, enthalten war die Mehrwertsteuer für die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung. Der Versicherer verweigert das Zahlungsbegehren hinsichtlich des übrigen Betrages mit Hinweis auf § 13 AVB.

Rechtliche Bewertung

Der Umfang des Schadensersatzes richtet sich der Klausel des § 13 AVB. Die Mehrwertsteuer wird nur fällig, wenn sie tatsächlich gezahlt worden ist. Ob dies eine wirksame Begrenzung des versicherten Sacherhaltungsinteresses ist, wurde durch Auslegung der AVB erörtert. Die Versicherungsbedingungen werden anhand der § 307 BGB auf ihre Wirksamkeit überprüft. Der zu prüfende Regelungsgehalt ist durch Auslegung zu bestimmen, dabei wird die Klausel so ausgelegt, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnis verstehen muss.

Abweichung von gesetzlichem Leitbild, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB

Geprüft wurde, ob in einer gesetzlichen Regelung ein Leitbildcharakter verankert ist, der gegen die Anwendung der Klausel sprechen würde. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Auskehrung der Mehrwertsteuer, wenn diese nicht anfällt existiert nicht. In den gewöhnlichen Schadensregulierungsvorschriften der §§ 249 ff. BGB ist ebenfalls kein solches Prinzip verankert. Der zu ersetzende Schaden wird dort nicht definiert. Ganz im Gegenteil ist in § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ausdrücklich verankert, dass die Umsatzsteuer nur ersatzfähig ist, sofern sie tatsächlich angefallen ist. Insofern ist die Regelung deckungsgleich mit dem Gesetz, ein Verstoß ist nicht anzunehmen.

Gefährdung des Vertragszweckes, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB

Auch konnte eine Gefährdung des Vertragszweckes nicht angenommen werden. Dafür müsste der Erhalt der Versicherungsleistung ernstlich in Frage stehen. Der Versicherte erhält aber mit erfolgter Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung die damit verbundene Mehrwertsteuer. Eine schützenswerte Berechtigung einen nicht existenten Mehrwertsteuerbetrag ebenfalls zu erhalten widerspricht Treu und Glauben. Der Versicherer steht eben nur nach Regelprinzip der Sachversicherung für die Wiederherstellung und die tatsächlich entstandenen Aufwendungen ein. Der geschuldete Sachersatz wird durch die Regel nicht gehindert.

Intransparenz, § 307 Abs. 1 S.2 BGB

Eine Intransparenz der Klausel liegt ebenfalls fern. Dies wäre gegeben, wenn nach der Auslegung der Versicherungsnehmer nicht hinreichend klar über seine Pflichten und mögliche Vermögensnachteile informiert wäre. Die Klausel ist deutlich formuliert und statuiert verständlich, dass eine fiktive Mehrwertsteuerberechnung nicht ausgeglichen wird. Dabei gibt es keine Verständnisprobleme.

Wirksamkeit der Klausel

Somit stehen der Wirksamkeit der Klausel keine gesetzlichen Regelungen im Wege. Der Versicherer verweigert in diesem Fall zu Recht die Auszahlung einer erdachten Mehrwertsteuer und beschränkt seine Auszahlung auf die tatsächlich angefallene Steuer.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Das Urteilt stellt klar, dass die Versicherungen nur für die tatsächlich angefallene Mehrwertsteuer einzutreten haben. Eine Ausdehnung der Versicherungsleistung auf einen hypothetischen Betrag, der bei der Wiederherstellung des gesamten Schadens angefallen wäre, ist nicht statthaft. Für die Schadensberechnung in der Sachversicherung und die Geltendmachung von Ansprüchen sollte ein Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultiert werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Gebäudeversicherung“ zusammengefasst.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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