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Rückforderung zunächst vorbehaltlos erbrachter Krankentagegelder kann verwehrt sein (OLG Saarbrücken)

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob es einem Krankentagegeldversicherer, der seine zunächst vorbehaltlos erbrachten Leistungen auf Grundlage einer späteren Begutachtung des Versicherungsnehmers wegen hierbei festgestellter Berufsunfähigkeit nach Ablauf der vereinbarten Karenzfrist eingestellt hat, nach Treu und Glauben versagt sein kann, sich zur Begründung einer Rückforderung im Nachhinein auf das seinerzeitige Fehlen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit zu berufen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 16.06.2021 – 5 U 57/20).

Was war der Sachverhalt vor dem OLG Saarbrücken?

Der Versicherer hat die beklagte Versicherungsnehmerin auf Rückzahlung von Krankentagegeld aus einer Krankentagegeldversicherung in Anspruch genommen. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes. Dieser war als selbständiger Türen- und Fenstermonteur tätig. Seine Tätigkeit umfasste die Montage, die Wartung und den Service von Automatiktüren. Er unterhielt bei der klagenden Versicherung eine Krankentagegeldversicherung auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung und den Musterbedingungen 2009 (MB/KT 2009). Danach hatte die Klägerin ab dem 29. Tag bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit ein tägliches Krankentagegeld in Höhe von 80,- Euro zu leisten.

Im September 2009 wurde bei dem Versicherungsnehmer ein Rektumkarzinom festgestellt, das operativ entfernt und mittels Chemotherapie sowie Bestrahlung behandelt wurde. Die Klägerin erbrachte, ausgehend von einer bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit ab dem 1. September 2009, vertragsgemäße Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung.

Im April 2011 wurde bei dem Versicherungsnehmer ein Lokalrezidiv diagnostiziert, des Weiteren eine Lebermetastase sowie ein Prostatakarzinom. Daraufhin erfolgten im Juni 2011 zwei Operationen und daran anschließend eine erneute Chemotherapie.

Im Rahmen einer von der Klägerin veranlassten Nachuntersuchung wurde im November 2011 Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers aufgrund der vorbeschriebenen Erkrankungen festgestellt. Der Versicherer erklärte daraufhin mit Schreiben, dass das Versicherungsverhältnis – mit Blick auf die „aktuelle Arbeitsunfähigkeit“ des Versicherungsnehmers nach Ablauf einer bedingungsgemäßen Karenzfrist – beendet sei und sie die Leistungen ab diesem Zeitpunkt einstellen werde. Die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Versicherungsnehmers hat gegenüber den geltend gemachten Rückzahlungsansprüchen die Einrede der Verjährung erhoben.

Das LG Saarbrücken hat der Klage des Versicherers stattgegeben und einen vertraglichen Rückzahlungsanspruch des Versicherers in voller Höhe anerkannt. Hiergegen richtet sich nunmehr die Berufung der Versicherungsnehmerin.

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken

Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass die zulässige Berufung der Beklagten teilweise begründet ist. Die von der Klägerin gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin des Versicherungsnehmers geltend gemachten Ansprüche auf Rückzahlung geleisteten Krankentagegeldes bestehen nicht in voller Höhe und nicht für den gesamten Zeitraum.

Das LG habe die vertraglichen Voraussetzungen der Leistungspflicht der Beklagten zutreffend wiedergegeben. Gehe es wie im vorliegenden Fall um die Rückforderung bereits erbrachter Leistungen, müsse der Versicherer das Fehlen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit voll beweisen. Bloße Zweifel reichen nicht aus, so das Gericht. Das OLG führt weiter aus, dass vorliegend die Rückforderungsklage aus ungerechtfertigter Bereicherung aber scheitere, unbeschadet des fehlenden Nachweises einer rechtsgrundlosen Leistung, jedenfalls daran, dass die Klägerin, die mit Schreiben den Versicherungsfall abgerechnet habe und dabei, sachverständig beraten, noch erkennbar vom Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ausgegangen sei, sich jetzt nicht mehr auf das Fehlen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit berufen dürfe.

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Leistungsabrechnung kann Vertrauenstatbestand schaffen!

Es sei anerkannten Rechts, dass das Versicherungsverhältnis in ganz besonderem Maße von Treu und Glauben beherrscht werde, und dass sich der Versicherungsnehmer in Anwendung dieses Grundsatzes, aufgrund der überlegenen Sach- und Rechtskunde des Versicherers, in gesteigerter Weise auf dessen Auskünfte und Erklärungen verlassen können müsse. So könne der Umstand, dass Leistungen erkennbar abschließend abgerechnet wurden, einen Vertrauenstatbestand schaffen, der das spätere Berufen des Versicherers auf die fehlende Leistungspflicht ausschließe, weiter das OLG Saarbrücken.

Jenseits der gesetzlichen Vorschrift des § 814 BGB können insoweit, die erst bei positiver Kenntnis von der Nichtschuld zur Anwendung gelange, auch schon bloße Zweifel des Leistenden am Bestehen der Schuld eine Rückforderung ausschließen, wenn der Leistende dem Empfänger zu erkennen gegeben hatte, dass diesem das Geleistete selbst im Falle des Nichtbestehens der Verpflichtung verbleiben solle. Noch weitergehend werde teilweise angenommen, dass die fortlautenden Zahlungen des vertraglich vereinbarten Krankentagegeldes, ohne die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Person in Abrede zu stellen, als Anerkenntnis des Versicherungsfalls zu werten sein können.

In Anwendung dieser Grundsätze sei es nach Auffassung des Gerichts dem Versicherer verwehrt, sich gegenüber der Beklagten auf das Fehlen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit zu berufen. Denn bis dahin habe sie das vertraglich vereinbarte Krankentagegeld fortlaufend ohne Einschränkungen gezahlt. Deshalb verbleibe der Senat dabei, dass es dieser jetzt versagt ist, sich für vergangene Zeiträume auf das Fehlen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit zu berufen, um damit einen – nicht vertraglich vorbehaltenen – Anspruch auf Rückzahlung vermeintlich rechtsgrundloser Versicherungsleistungen zu begründen. Diese Sicht sei im Übrigen auch notwendiges Korrelat zu den Voraussetzungen der Eintrittspflicht des Versicherers, dem eine zeitnahe Überprüfung ohne weiteres möglich war, der davon wiederholt Gebrauch gemacht hat und der das Risiko einer diesbezüglichen Fehleinschätzung jetzt nicht seinem Versicherungsnehmer bzw. dessen Rechtsnachfolgerin überantworten dürfe: An seiner damaligen Aussage, die von der Fortdauer des Versicherungsfalles ausging und auf die sich der Versicherte verlassen durfte, müsse der Versicherer sich festhalten lassen, abschließend das Oberlandesgericht.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken kann im Ergebnis überzeugen. Es geht zu Recht davon aus, dass der Versicherer durch die vorbehaltlose Leistungserbringung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und nach Treu und Glauben eine Rückzahlung dieser Leistungen nicht fordern darf. Zutreffend hat das OLG herausgearbeitet, dass dem Versicherer eine Überprüfung der bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres möglich war, der davon Gebrauch gemacht hat und nunmehr das Risiko einer diesbezüglichen Fehleinschätzung nicht dem Versicherungsnehmer bzw. dessen Rechtsnachfolgerin auferlegen darf.

Festzustellen ist, dass es auch im Bereich der Krankentagegeldversicherung sinnvoll ist, jede Entscheidung eines Versicherers juristisch überprüfen zu lassen und frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten durch – möglicherweise – ungerechtfertigte Leistungsablehnungen oder Rückzahlungsbegehren durch Versicherungen vereitelt werden könnten.

Einen weitergehenden Artikel mit wichtigen und interessanten Entscheidungen zum Bereich der Krankentagegeldversicherung finden Sie hier: Krankentagegeldversicherung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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