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Versicherungsfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BGH)

Der BGH hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob es wesentliche Rechte, die sich aus der Natur der Krankentagegeldversicherung ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, wenn in einer Krankentagegeldversicherung die Versicherungsfähigkeit eines Arbeitnehmers und damit der Fortbestand des Versicherungsvertrags vom ununterbrochenen Vorhandensein eines festen Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht wird. Zu beschäftigen hatte sich der BGH insbesondere mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Versicherungsfähigkeit entfällt (BGH Urt. v. 27.02.2008 – IV ZR 219/06).

Der Fall vor dem BGH

Der Kläger ist Versicherungsnehmer. Er unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Der Versicherung liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) zugrunde, die in Teil I den Musterbedingungen (MB/KT 94) entsprechen. Teil II enthält die Tarifbedingungen des Versicherers, die jeweils einzelnen Vorschriften der MB/KT 94 zugeordnet sind. § 1 MB/KT 94 lautet auszugsweise:

Ҥ 1. Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes.

(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird.

Dazu heißt es in den Tarifbedingungen unter anderem:

Nr. 2. Versicherungsfähigkeit.

(1) Versicherungsfähig sind aufnahmefähige Personen, die selbstständig einen Beruf ausüben und deshalb Einkommensteuererklärungen abgeben. Personen, die in einem ständigen festen Dienst- oder Arbeitsverhältnis gegen Entgelt stehen (Arbeitnehmer), sind nur versicherungsfähig nach Tarifen mit mindestens 42 Karenztagen – leistungsfreie Tage – seit Beginn einer Arbeitsunfähigkeit. Personen in einem Zeitarbeitsverhältnis sind nicht versicherungsfähig.

§ 15. Sonstige Beendigungsgründe.

Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen:

  1. a) bei Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzung weggefallen ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Wegfall der Voraussetzung. Dazu ist in den Tarifbedingungen bestimmt:

Nr. 29a. Arbeitslosigkeit.

Wird ein Arbeitnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls arbeitslos, so erhält er bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit über die Monate des § 15a MB/KT 94 hinaus Krankentagegeld. Dies insgesamt bis zu zwölf Monaten seit Beginn der Arbeitslosigkeit. Diese erweiterte Nachleistung gilt unter der Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer eine Bestätigung des Arbeitsamtes vorlegt, wonach er sich als Arbeitssuchender gemeldet hat und keine Leistungen erhält, und wenn eine Bestätigung des Arbeitgebers über das Ende des Dienstverhältnisses vorgelegt wird.”

Der Versicherungsnehmer wurde aufgrund einer Kündigung im Jahr 2003 arbeitslos und bezog seither Arbeitslosengeld. Aufgrund seines geringeren Einkommens wurde die Krankheitskosten-Vollversicherung umgestellt. Dabei blieb die Krankentagegeldversicherung unverändert.

Während der Arbeitslosigkeit erlitt er einen Skiunfall, wodurch er arbeitsunfähig wurde. Der Versicherte behauptet, dass die Arbeitsunfähigkeit bis zum 13.11.2005 gedauert habe. Seit Anfang 2006 ist der Versicherungsnehmer wieder tätig. Nunmehr fordert er von dem beklagten Versicherer Krankentagegeld sowie die Feststellung, dass er ohne zeitliche Höchstgrenze bis zum Ende vorübergehender Arbeitsunfähigkeit krankentagegeldversichert ist.

Die Klage blieb sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Oberlandesgericht erfolglos.

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Die Entscheidung des BGH

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zurück. Die Auslegung von Nr. 2 der Tarifbedingungen ergebe zwar, dass aus der durch die Kündigung des Arbeitgebers herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Wegfall der Versicherungsfähigkeit des Versicherungsnehmers folgt. Eine Ausnahme gelte dann, wenn bei Wegfall der Voraussetzungen für die Versicherungsfähigkeit der Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit bereits eingetreten sei (§ 15 a) Satz 2 MB/KT 94; Nr. 29a der Tarifbedingungen). Vorliegend sei ein solcher Fall jedoch nicht gegeben.

Nach Auffassung des BGH halte jedoch Nr. 2 der Tarifbedingungen in Verbindung mit § 15 a) Satz 1 MB/KT 94 im Rahmen einer Auslegung einer Inhaltskontrolle nicht stand, soweit sich daraus ergebe, dass ein Arbeitnehmer, dessen ständiges festes Arbeitsverhältnis durch Kündigung ende, die Versicherungsfähigkeit verliere und dies zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses zum Ende des Monats führe, in dem das Arbeitsverhältnis beendet werde. Es schränke wesentliche Rechte, die sich aus der Natur der Krankentagegeldversicherung ergäben, so ein, dass gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei, soweit die Versicherungsfähigkeit eines Arbeitnehmers und damit der Fortbestand des Versicherungsvertrages vom ununterbrochenen Vorhandensein eines festen Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werde, so der BGH.

Unvereinbarkeit mit dem Zweck der Krankentagegeldversicherung

Der Zweck der Krankentagegeldversicherung bestehe in der sozialen Absicherung erwerbstätiger Personen. Mit diesem Zweck sei daher eine aufgezwungene, endgültige und ersatzlose Beendigung des Versicherungsverhältnisses nicht zu vereinbaren. Denn der Versicherungsnehmer könne später möglicherweise wieder auf den Schutz einer Krankentagegeldversicherung angewiesen sein. Er könne zwar wegen des fortgeschrittenen Alters erneut Versicherungsschutz genießen. Dieser sei dann aber nur noch zu wesentlich ungünstigeren Konditionen möglich, weiter der BGH.

Auf der anderen Seite seien nach Ansicht des BGH die Interessen des Versicherers bereits dann gewahrt, wenn die Versicherungsfähigkeit dann ende, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht ernsthaft um die Aufnahme einer neuen Tätigkeit bemühe oder sich seine Bemühungen als aussichtslos darstellten.

Die Unwirksamkeit der Tarifbedingung Nr. 2 i. V. m. § 15 a) S. 1 MB/KT 94 habe demnach zur Folge, dass die Versicherungsfähigkeit eines Arbeitnehmers, dessen ständiges festes Arbeitsverhältnis beendet worden sei, nicht entfalle und eine Beendigung des Versicherungsverhältnisses nicht eintrete. Doch es widerspräche dem in § 1 (1) MB/KT 94 zum Ausdruck kommenden Zweck einer Krankentagegeldversicherung, ihren Schutz auch für den Versicherungsnehmer weiter aufrecht zu erhalten, der ein neues Arbeitsverhältnis nicht mehr eingehen wolle oder dessen ernsthafte Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz als gescheitert angesehen werden müssten. Denn in einem solchen Falle fehle jede Anknüpfung an einen künftig durch Arbeitsunfähigkeit eintretenden Verdienstausfall.

Die Bedingungen und Tarifbedingungen, die dem Vertrag zu Grunde liegen, regeln diesen Fall nicht, so der Senat. Die dadurch entstandene Regelungslücke sei daher im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Dabei gehe der BGH davon aus, dass die Parteien, wäre ihnen die Unwirksamkeit der hier vorgesehenen Vertragsbeendigung bewusst gewesen, bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Regelung getroffen hätten, die dem oben dargestellten Konflikt Rechnung trägt.

Wer trägt überhaupt die Beweislast?

Der Versicherer trage die Beweislast für einen Wegfall der Versicherungsfähigkeit. Da er aber keine Kenntnis habe, ob und wie der Versicherungsnehmer sich um eine andere Arbeit bemühe, treffe zunächst den Versicherungsnehmer die Pflicht, die negative Tatsache eines Wegfalls seiner Versicherungsfähigkeit substantiiert zu bestreiten und näher darzulegen, was er unternommen habe, um eine neue Tätigkeit zu finden. Erst dann könne der Versicherer, soweit er den Wegfall der Versicherungsfähigkeit geltend machen will, seinerseits dazu vortragen und Beweis antreten.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BGH kann im Ergebnis überzeugen und ist rechtlich nachvollziehbar. Zu Recht hat der BGH die Unvereinbarkeit der Tarifbedingung mit dem Zweck der Krankentagegeldversicherung erkannt und eine ergänzende Vertragsauslegung für erforderlich gehalten. Versicherungsnehmern obliegt im Gegenzug jedoch eine wichtige Pflicht, nämlich der Beweis dafür, dass sie sich ernsthaft um die Aufnahme einer neuen Tätigkeit bemüht haben.

Sofern ein Versicherungsunternehmen – beispielsweise wie hier eine Krankentagegeldversicherung und / oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung – die vollständige Leistungsregulierung ablehnt oder einkürzt, so sollte zeitnah fachanwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden, damit keine Ansprüche der Versicherten vereitelt werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Krankentagegeldversicherung“ zusammengefasst.  

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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