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Krankentagegeldversicherung: Obliegenheitsverletzung des Versicherten ohne Vertragsanpassung? (LG Heidelberg)

Das LG Heidelberg hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob der Versicherer sich auf eine Verletzung der Anzeigeobliegenheiten berufen kann, wenn er die Versicherungsbedingungen eines Krankentagegeldversicherungsvertrages nicht nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG angepasst hat (LG Heidelberg Urt. v. 16.03.2016 – 5 O 187/12).

Der Sachverhalt vor dem LG Heidelberg

Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei der beklagten Versicherung eine Krankentagegeldversicherung. Ab Februar 2010 übermittelte der Versicherte an den Versicherer Belege und Unterlagen, in denen seine Arbeitsunfähigkeit vom Arzt festgestellt wurde. Der Versicherer forderte den Versicherungsnehmer mehrfach auf, die Arbeitsunfähigkeit wöchentlich mit den zur Verfügung gestellten Formulare nachzuweisen. Dieser Forderung kam der Versicherungsnehmer nicht nach. Sodann lehnte der Versicherer weitere Leistungen unter Hinweis auf die Verletzung der wöchentlichen Nachweispflicht ab. Nunmehr verlangt der Kläger von der Krankenversicherung Leistungen für den Zeitraum vom 7. Mai 2010 bis 24. Oktober 2010.

Die Entscheidung des LG Heidelberg

Die Klage sei nur zum Teil begründet. Dem Versicherungsnehmer stehe ein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld zu. Ein Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen bestehe nicht, denn eine Arbeitsunfähigkeit über den 29. Juli 2010 hinaus, bis zum 24. Oktober 2010, habe der Kläger nicht nachweisen können. Demnach war der Versicherte vom 7. Mai 2010 bis 29. Juli 2010 bedingungsgemäß arbeitsunfähig.

Nach Auffassung des Landgerichts sei der Versicherer nicht durch eine Obliegenheitsverletzung des Versicherten leistungsfrei geworden. Weder habe der Versicherungsnehmer gesetzliche noch vertragliche Obliegenheiten in einer zur Leistungsfreiheit des Versicherers führenden Weise verletzt. Der Versicherer habe bereits die gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG erforderliche Mitteilung der Änderung der allgemeinen Versicherungsbedingungen bis zum 1. Januar 2009 nicht bewiesen. Daher seien die MB/KT 2009 nicht Vertragsbestandteil zwischen den Parteien geworden, so das LG.

Der Versicherer behauptet zwar, dies mit einem Schreiben getan zu haben. Für den Zugang, den der Versicherte bestreite, wäre aber der Versicherer beweispflichtig. Diesen Beweis habe er nicht geführt. Die Behauptung des Versicherers, es sei aufgrund der Tatsache von einem Zugang beim Versicherungsnehmer innerhalb der üblichen Postlaufzeit auszugehen, da das Schreiben nicht in Rücklauf gelangt sei, werde der dem Versicherer obliegenden Beweislast nicht gerecht. Es sei nach Ansicht des LG Heidelberg nicht ersichtlich, dass für den Beweis des Zugangs der Änderungsmitteilung im Sinne des Art. 1 Abs. 3 EGVVG geringere Anforderungen gelten als für den Beweis des Zugangs von Willenserklärungen allgemein.

Der Gesetzgeber habe den Versicherern die Anpassungsoption des Art. 1 Abs.  3 EGVVG eingeräumt. Ein Versicherer könne die Unwirksamkeitsfolgen hiernach jedoch nur durch eine Anpassung seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen abwenden, indem er den Versicherungsnehmer in der durch Art. 1 Abs. 3 EGVVG geregelten Weise über die geänderte Vertragslage informiert. Dies zeige, dass es dem Gesetzgeber auch um eine rasche Umstellung auf transparente, neue Vertragswerke ging und er eine unterbliebene Vertragsumstellung durch den Wegfall der unwirksam gewordenen Vertragsbestimmung sanktionieren wollte. Diese Regelungsgefüge würde unterlaufen, wenn dem Versicherer auch ohne Umstellung seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen die Anwendung der Rechtsfolgen des VVG 2008 auf Obliegenheitsverletzung gestattet wäre. Mangels einer den Anforderungen des Art. 1 Abs. 3 EGVVG entsprechenden Vertragsanpassung, bestehe nach Auffassung des LG eine völlig intransparente der Sanktionsregelung, so dass eine Schließung der Vertragslücke durch § 28 Abs. 2 S. 2 VVG nicht in Betracht komme.

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Keine ergänzende Vertragsauslegung

Auch eine ergänzende Vertragsauslegung scheide vorliegend aus. Grundsätzlich sei sie bei Unwirksamkeit einer Klausel in einem vorformulierten Vertrag möglich, wenn dispositive Gesetzesbestimmungen nicht zur Verfügung stehen, so dass das Regelungsgefüge eine Lücke aufweist. Voraussetzung hierfür sei, dass die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führt, es dem Versicherer gemäß § 306 Abs. 3 BGB ohne ergänzende Vertragsauslegung unzumutbar ist, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden, und der ergänzte Vertrag für den Versicherten typischerweise von Interesse ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, tritt diejenige Gestaltungsmöglichkeit ein, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicher Weise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre, so das Gericht. Vorliegend sei es aber dem Versicherer nicht unzumutbar, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden. Die Voraussetzungen für eine Unzumutbarkeit liegen in diesem Fall jedoch nicht vor, abschließend das Gericht.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Im Ergebnis kann die Entscheidung des LG Heidelberg überzeugen. Sie hebt die Bedeutung der richtigen Gesetzesanwendung und der Auslegung dieser hervor. Dies ist insbesondere entscheidend für die Beurteilung der Leistungspflichten des Versicherers und die den Versicherungsnehmer treffenden Obliegenheiten. Dies hat das LG Heidelberg rechtstechnisch nachvollziehbar herausgearbeitet. Zu Recht hat es die Anwendung einer ergänzenden Vertragsauslegung abgelehnt und damit dem Versicherten zustehenden Ansprüche zugesprochen.

Sofern ein Versicherer – zum Beispiel eine Krankentagegeldversicherung und / oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung – die vollständige Leistungsregulierung ablehnt, so sollte zeitnah fachanwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden, damit keine Ansprüche der Versicherten vereitelt werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Krankentagegeldversicherung“ zusammengefasst.

EXKURS: Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung

Leistungen aus einer Krankentagegeldversicherung sind nicht auf Dauer angelegt. Es soll damit eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit über einen gewissen Zeitraum überbrückt werden. Liegen jedoch dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen vor, so könnte die Versicherungsfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung in Frage stehen (s.o.).

Aus diesem Grunde ist Versicherten anzuraten darüber hinaus Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung – sofern vorhanden – in Anspruch zu nehmen. Unter welchen Voraussetzungen der Versicherungsnehmer einen Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung hat und welche rechtliche Fallstricke dabei zwingend zu beachten ist, kann nachfolgend nachgelesen werden:

“Fallstricke Berufsunfähigkeitsversicherung”.

Bei der Geltendmachung von Ansprüchen Versicherung – Krankentagegeldversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung – ist anzuraten einen Fachanwalt für Versicherungsrechts zu konsultieren um umfassend über die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag beraten zu werden.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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