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Versicherungsfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung bei Wechsel der beruflichen Tätigkeit? (BGH)

Der BGH hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, ob die selbstständige Berufsausübung und die Erzielung regelmäßiger Einkünfte als Voraussetzungen einer Krankentagegeldversicherung bereits dann wegfallen, wenn der Versicherte sein berufliches Tätigkeitsfeld wechselt und dafür eine Übergangszeit benötigt (BGH Urt. V. 17.02.2010 – IV ZR 259/08).

Der Sachverhalt vor dem BGH

Der Kläger, der als Versicherungsnehmer zwei Krankentagegeldversicherungen bei der beklagten Versicherung unterhält, begehrt im vorliegenden Streitfall gerichtlich die Feststellung, dass diese Versicherungen fortbestehen. Ferner verlangt er auch die Zahlung von Krankentagegeld.

Dem Versicherungsverhältnis liegt ein Gruppenversicherungsvertrag mit einem Anwaltverein zugrunde. Nach § 1 (1) dieses Gruppenversicherungsvertrages sind die Mitglieder des Anwaltsvereins versicherbar, sofern sie ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Vertragsgrundlage sind gemäß § 2 (1) Buchst. a des Gruppenversicherungsvertrag unter anderem die Allgemeinen Bedingungen des Versicherers (im Folgenden: AVB-G) sowie der Tarif GT2 für Rechtsanwälte:

“§ 3 AVB-G: (1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er gewährt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vereinbartem Umfang. (…) (3) Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn der Versicherte seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.

§ 14 AVB-G: (1) Die Krankentagegeldversicherung endet bzw. wird aufgelöst a) bei Wegfall einer im Tarif oder im Gruppenversicherungsvertrag bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzung weggefallen ist.

Nr. 4 des Tarifs GT2 ist: Versicherungsfähigkeit: Nach diesem Tarif ist versicherungsfähig, wer seinen Beruf selbstständig ausübt und aus dieser Tätigkeit regelmäßige Einkünfte hat.”

Der Versicherungsnehmer verlor im August 2002 die Zulassung als Rechtsanwalt, blieb aber Mitglied des Anwaltvereins. Bis Ende März 2003 arbeitete er mit dem Abwickler seiner Kanzlei zusammen und erzielte weiterhin Einnahmen. Ab April 2003 wurde ein anderer Abwickler eingesetzt. Im September 2003 wurde der Versicherte fortlaufend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Seit Juli 2006 ist er wieder gesund und betreibt eine Praxis als selbstständiger Mediator.

Die Klage wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Der Widerklage auf Rückzahlung des bereits vom Versicherer geleisteten Krankentagegeldes wurde stattgegeben. Dagegen wendet sich der Kläger nun mittels der Revision zum BGH.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dieses hatte angenommen, dass die vertragliche Regelung über das Ende des Versicherungsverhältnisses nicht zu beanstanden sei. Der Versicherte könne redlicher Weise nicht erwarten, dass der Versicherer entgegen dem Zweck der Versicherung, Schutz gegen Verdienstausfall zu gewähren habe, wenn der Versicherungsnehmer seine selbstständige Tätigkeit aufgegeben habe und keine regelmäßigen Einkünfte mehr erziele. Hier sei keine Voraussetzung, dass die Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit freiwillig erfolgt sei. Etwas anderes könne gelten, wenn ein Selbstständiger erst während der Erkrankung seine Tätigkeit aufgebe. Im vorliegenden Fall habe der Kläger aber, auch wenn er schon in ärztlicher Behandlung gewesen sei, nach seiner eigenen Darstellung seine Tätigkeit ab April 2003 aus anderen als gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt, so der BGH.

Nach Auffassung des BGH halte die Würdigung des Berufungsgerichts rechtlicher Nachprüfung jedoch nicht stand. Denn nach Nr. 4 GT2 hänge die Versicherungsfähigkeit von zwei Voraussetzungen ab, nämlich einer selbstständigen Berufsausübung und der Erzielung regelmäßiger Einkünfte. Ferner müssen gemäß § 1 (1) des Gruppenversicherungsvertrages die Mitgliedschaft im Anwaltverein sowie ein Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hinzukommen. Allein aus dem Vorliegen dieser zusätzlichen, im Gruppenversicherungsvertrag geforderten Voraussetzungen ergebe sich die Versicherungsfähigkeit noch nicht. Vielmehr bestehe der Versicherungsschutz auch dann, wenn der Versicherungsnehmer nicht als Rechtsanwalt tätig ist, solange er Mitglied des Anwaltvereins bleibt, weiter der BGH.

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Übergangszeit für Versicherungsnehmer

Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, dass die selbstständige Berufstätigkeit mithin sowohl in einer Zusammenarbeit mit dem Praxisabwickler als auch in einer anderen Tätigkeit etwa als Mediator bestehen könne. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer liege ein entsprechendes Verständnis auch in einem Fall nahe, in dem die Versicherungsfähigkeit allein an die selbstständige Berufsausübung und die damit verbundene Erzielung von Einkommen anknüpft. Es entspreche in einem solchen Fall dem erkennbaren Sinn und Zweck der Klausel, dem Versicherten bei einem Wechsel des Tätigkeitsfelds eine Übergangszeit zuzubilligen, in der er die Voraussetzungen zur Ausübung der neuen Erwerbstätigkeit schaffen kann. Trete dann während einer derartigen Übergangszeit Arbeitsunfähigkeit ein, sei davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer ohne die Erkrankung alsbald wieder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hätte und dass er daran nur durch die Krankheit gehindert worden ist.

Darlegungs- und Beweislast obliegt dem Versicherer

Des Weiteren sei nach dem Wortlaut der Nr. 4 GT2 erforderlich, dass aus der selbstständigen Berufsausübung regelmäßig Einkünfte erzielt werden, so der BGH weiter. Damit seien jedoch keine monatlich in etwa gleichbleibenden Bezügen wie bei einem abhängigen Arbeitnehmer gemeint. Danach hänge die Versicherungsfähigkeit davon ab, ob die berufliche Tätigkeit ernsthaft auf die Erzielung nachhaltiger und in diesem Sinne regelmäßiger Einkünfte gerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass das Versicherungsverhältnis gemäß § 14 (1) Buchst. a AVB-G in Verbindung mit Nr. 4 GT2 infolge Wegfalls der Versicherungsfähigkeit seit April 2003 beendet worden ist, obliege dennoch nicht dem Versicherungsnehmer, sondern dem Versicherer. Dies gelte auch dann, wenn die Versicherungsfähigkeit wie im vorliegenden Fall schon vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit weggefallen sein soll, abschließend der BGH.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BGH kann im Ergebnis überzeugen und ist rechtlich nachvollziehbar. Zutreffend hat der BGH entschieden, dass die Aufgabe einer bestimmten Tätigkeit, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, noch nicht das Ende einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen bedeuten muss. Der BGH hat in anderen Fällen zudem entschieden, dass der Versicherungsnehmer auch in Zeiten der Arbeitssuche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall infolge Krankheit durch das Tagegeld genießen muss.

Sofern ein Versicherer – Krankentagegeldversicherung und / oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung – die vollständige Leistungsregulierung ablehnt oder einkürzt, so sollte zeitnah fachanwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden, damit keine Ansprüche der Versicherten vereitelt werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Krankentagegeldversicherung“ zusammengefasst.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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