Leistungsverpflichtung des Versicherers bei Betriebsschließung wegen Covid-19 (LG Darmstadt)

Am 14.01.2021 urteilte das LG Darmstadt (Az.: 28 O 130/20) erneut zur bestehenden Verpflichtung des Versicherers zur Versicherungsleistung wegen einer Betriebsschließung aufgrund der Covid-19-Pandemie.

Der Sachverhalt vor dem LG

Die Klägerin betreibt einen für Touristen ausgelegten Ferien-Freizeitpark Die Beklagte ist das Versicherungsunternehmen, bei der die Klägerin seit dem 20.01.2014 eine Betriebsschließungsversicherung als Exzedentenversicherung unterhält. Vereinbarte Versicherungsleistung war eine Tagesentschädigung von 71.389,00 € und in den Saisonmonaten Juli und August eine Tagesentschädigung von 142.778 € bis zur Dauer von 30 Schließungstagen. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (AVB-BS), Stand 01.01.2014 zugrunde. Vom 18.03.2020 bis zum 17.05.2020 musste die Klägerin ihren Betrieb schließen. Bei einer weiteren Versicherung unterhielt die Beklagte ebenfalls eine solche Versicherung mit einer Höchstsumme von 800.000 €, die nach dem Inhalt des Versicherungsvertrages zwischen Kläger und Beklagten vorrangig in Anspruch zu nehmen ist. Der andere Versicherer leistete bereits vollständig. Die Klägerin begehrt die Entschädigung für 30 Schließungstage in Höhe von 2.141.670,00 €. Die Beklagte weist dies ab, mit der Begründung, dass Covid-19 nicht in den AVB-BS versichert sei.

Rechtliche Würdigung

Der Versicherungsfall ist in den AVB-BS festgelegt:

  1.  Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des […] Infektionsschutzgesetz – IfSG […] beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

  1. a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

[…]

  1. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

  1. a) Krankheiten

[Es folgt eine Auflistung von Spiegelstrichen mit Krankheitserregern, unter denen das Corona-Virus nicht auftaucht.]

  1. b) Krankheitserreger

§ 3 AVB-BS beschreibt einen Ausschluss:

4. Krankheiten und Krankheitserreger

Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“

Exzedentenversicherung

Die Klägerin unterhält eine sogenannte Exzedentenversicherung. Das LG Darmstadt stellte fest, dass darunter eine Versicherung zu verstehen ist, die zur Grundversicherung hinzutritt. Aufgrund der Vorrangigkeit der zweiten Versicherungsleistung wurde geprüft, ob mit Zahlung der 800.000€ bereits eine Leistung erbracht wurde, mit der die Einstandspflicht der beklagten Versicherung ebenfalls abgegolten war. Im vorliegenden Fall war maßgeblich, dass die Schließung insgesamt 61 Tage anhielt, weshalb ohnehin 31 Tage nach Leistung weiterhin entschädigungspflichtig verbleiben. Insofern ist festzustellen, dass die Deckungsbereiche zweier Betriebsschließungsversicherungen sich nicht überschneiden, selbst wenn eine davon vorrangig zu beanspruchen ist.

Covid-19-Erreger versichert?

Das LG Darmstadt beschäftigte sich mit der aktuellen Rechtsfrage, ob das Covid-19-Virus als meldepflichtiger Erreger versichert ist, obwohl dieser zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht in den Bedingungen aufgelistet war. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses enthielt die Auflistung meldepflichtiger Krankheitserreger im Infektionsschutzgesetz den Erreger nicht. Kern der Rechtsbewertung ist die Frage, ob in der Klausel:

„meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz […] in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“

die Begriffsverwendung des Wortes „folgenden“ so zu verstehen ist, dass damit jederzeit Bezug auf das Infektionsschutzgesetz in seiner aktuellen Fassung genommen wird. Die Gegenansicht legt die Klausel so aus, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nur davon ausgehen muss Versicherungsschutz für die aufgezählten Erreger zu erhalten. Bestehen zwei rechtlich vertretbare Auslegungsalternativen wird nach § 305c Abs. 2 BGB die für den Versicherungsnehmer günstigere angewandt. Somit entschied das LG Darmstadt, dass die Klausel als „Dynamische Verweisung“ zu verstehen ist, wonach das IfSG in seiner aktuellen Fassung die relevante Darstellung der versicherten Erreger enthält. Im Übrigen wäre die Klausel bei Verständnis als abschließende Aufzählung intransparent gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wodurch diese ohnehin unwirksam wäre. Denn die Aufzählung war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vollständig, suggeriert aber aufgrund der Menge an Erregern dies. Mithin läge keine durchschaubare Darstellung der Rechte vor.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Es erging ein weiteres Urteil, welches den bestehenden Versicherungsschutz bei einer Covid-19-Schließung bestätigt. In Auslegungsstreitigkeiten wird zugunsten der Versicherungsnehmer immer die vorteilhaftere Auslegung angewandt. Im Falle einer Deckungsverweigerung sollte ein Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultiert werden.

Weitere praxisrelevante Hinweise und wichtige Urteilsbesprechungen hierzu finden Sie im Bereich Der betrieblichen Versicherungen.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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