Bestehender Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung bei Schließung wegen Covid-19-Pandemie (OLG Karlsruhe)

Der aktuelle Streit über das Bestehen des Anspruchs auf die Versicherungsleistung bei einer Betriebsschließung aufgrund der Covid-19 Pandemie setzt sich mit einem weiteren Urteil fort. Das OLG Karlsruhe urteilte am 30.06.2021 (Az. 12 U 4/21) zugunsten eines Versicherungsnehmers.

Der Sachverhalt vor dem OLG Karlsruhe

Die Klägerin unterhielt eine Betriebsschließungsversicherung für ihren Hotelbetrieb. Aufgrund einer behördlich angeordneten Betriebsschließung im März 2020 macht die Klägerin die Ersatzansprüche aus § 1 Nr. 1 ZB-BSV ihrer Versicherung geltend. Der Versicherer verweigerte die Zahlung, so wie die meisten Versicherungen in der Pandemie. Das Landgericht wies jedoch die Klage ab. Gegen diesen Urlaub wendete sich der Versicherungsnehmer mit der Berufung zum OLG Karlsruhe.

Ist das Covid-19-Virus eine meldepflichtige Krankheit im Sinne der AVB?

Der Versicherungsschutz aus der Betriebsschließung besteht nach dem § 1 Nr. 1 ZB-BSV nur dann „wenn [..] die zuständige Behörde aufgrund der IfSG (in der Fassung vom 20.07.2000) [..] beim Auftreten von meldepflichtiger Krankheiten [..] den versicherten Betrieb [..] schließt.“

Dementsprechend muss der Covid-19-Erreger in dem Sinne der AVB eine meldepflichtige Krankheit sein. Das OLG Düsseldorf hatte deshalb die Klausel in § 1 Nr. 2 ZB-BSV „Meldepflichtige Krankheiten [..] im Sinne dieser Bedingungen [..] die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …“ [es folgt eine Auflistung von Erregern, in der das SARS-Cov2 Virus nicht aufgeführt wird] rechtliche zu bewerten.

Das OLG Karlsruhe legte die für den Prozess wesentliche Formulierung „die folgenden [..] namentlich genannten Erreger“ aus, um zu ermitteln, ob dies einen Rückschluss auf eine abschließende Aufzählung und daher eine Beschränkung auf die in der Fassung vom 20.07.2000 im IfSG vorzufindenden Erreger zulässt. Wäre dem so, bestünde wegen der fehlenden Auflistung des Erregers kein Versicherungsschutz.

Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB

Kann eine Klausel auf mehrere Weisen verstanden werden, so gilt gem. § 305c Abs. 2 BGB die für den Versicherungsnehmer günstigere Deutungsalternative. Anders als bei vorherigen Beurteilungen durch Fachgerichte konnte das OLG Karlsruhe nicht feststellen, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel als eine dynamische Verweisung verstehen kann. Demnach bestimmen sich die versicherten Erreger, nicht anhand der im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls im IfSG aufgelisteten Erregern, sondern anhand der Auflistung in den AVB. In Bezug zu den aufgelisteten Erregern würden nach dem OLG die Formulierungen „folgenden“ und „namentlich“ unmissverständlich darauf hinweisen, dass die darauffolgende Auflistung abschließend sei. Demnach findet die Unklarheitenregel keine Anwendung, die Klausel wurde in der Bewertung als abschließende Auflistung behandelt.

Verstoß gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB

Das OLG Karlsruhe urteilte, dass die abschließende Auflistung dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht gerecht wird. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer müssen die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen hinreichend deutlich dargestellt werden. Ausgangspunkt der Bewertung war das Hauptleistungsversprechen der Betriebsschließungsversicherung. In § 1 Nr. 1 ZB-BSV wird der Eindruck erweckt, dass die Deckungsverpflichtung umfassend dann eintritt, wenn die zuständige Behörde aufgrund eines Erregers im IfSG den Betrieb schließt. Eine Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG suggeriert insbesondere, dass die dort genannten Erreger deckungsgleich mit der Auflistung in den AVB ist.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer würde nicht Punkt für Punkt die einzelnen Erreger mit dem IfSG abgleichen. Die Auflistung in § 1 Nr. 2 ZB-BSV ist eine „optisch erschlagende Darstellung“ die den Eindruck eines besonders weitreichenden Schutzes generiert. Dies widerspricht der Bestimmtheitsanforderung des Transparenzgebotes. Die Klausel ist durch die Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG irreführend. Folglich ist die Klausel unwirksam und die Einstandspflicht bemisst sich an dem wirksam verbleibenden § 1 Nr. 1 ZB-BSV, wonach eine Betriebsschließung aufgrund des IfSG die Leistungspflicht begründet.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Dieses Urteilt überzeugt in Gänze. Es reiht sich in eine lange Liste stattgebender Urteile ein. Dennoch stehen dem eine Mehrzahl an abweisenden Urteilen gegenüber, welche nur teilweise überzeugen. Aufgrund dieser ganzen divergierenden Entscheidungen, liegen nunmehr bereits einige BSV-Rechtsstreitigkeiten dem BGH zur Entscheidung vor. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH sich in dieser Sache positionieren wird.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Betriebsunterbrechungsversicherung“ zusammengefasst. Insbesondere mit Blick auf die Covid-19 Pandemie gab es einige Rechtsprechungen, welche wir Ihnen unter Betriebliche Versicherungen zusammengefasst haben.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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