Versicherungsschutz bei Betriebsschließung wegen Covid-19? (LG Darmstadt)

Das LG Darmstadt entschied am 14.12.2020 (Az.: 28 O 168/20) zugunsten der Einordnung der Betriebsschließung wegen Covid-19-Virus als versichertes Ereignis im Sinne einer Betriebsschließungsversicherung, obwohl der Erreger nicht namentlich versichert wurde.

Der Sachverhalt vor dem LG

Die Klägerin unterhält eine Betriebsschließungsversicherung bei dem beklagten Versicherer. Der Kläger ist Inhaber eines Restaurantbetriebs, welcher Pandemie bedingt schließen musste. Im Versicherungsvertrag ist in den Bedingungen (AVB-BS) die Entschädigungsleistung so bestimmt, dass eine Tagesentschädigung von 1.000 € bis zur Dauer von 30 Schließungstagen gewährt werden soll. Das Restaurant wurde vom 17.03.2020 bis einschließlich 11.05.2020 geschlossen. Einen Liefer- und Abholservice unterhielt die Klägerin weder vor noch nach der Schließung. Die Klägerin begehrt die Auszahlung der Versicherungsleistung in Höhe von 30.000€. Der Versicherer bestreitet den Eintritt des Versicherungsfalls.

Rechtliche Würdigung

Für den Erhalt der Versicherungsleistung muss ein versichertes Risiko verwirklicht werden. In der streitigen Betriebsschließungsversicherung wurde ein Katalog von Krankheitserregern aufgeführt, in der dortigen Auflistung war der Covid-19 Erreger nicht vorzufinden. Der Versicherungsfall wurde in § 1 AVB-BS festgelegt:

§ 1 Nr. 1 AVB-BS lautet auszugsweise:

„§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

  1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des […] Infektionsschutzgesetz – IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

  1. a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte […] schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt […]

§ 1 Nr. 2 AVB-BS regelt meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: […]“ Es folgt eine Auflistung von Erregern in der das Covid-Virus nicht erscheint.

§ 3 Nr. 4 AVB-BS

Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“

Versicherungsfall

Der Versicherer stritt den Eintritt des Versicherungsfalles ab. Dieser ist der AVB-BS entsprechend, die Schließung des Betriebes aufgrund einer behördlichen Maßnahme beim Auftreten von meldepflichtigen Krankheitserregen. Das Gericht entschied, dass die Allgemeinverfügungen, welche zur Betriebsschließung führen als behördliche Maßnahmen im Sinne der AVB einzustufen sind. Außerdem liegt eine vollständige Schließung im Sinne der Bedingungen auch dann vor, wenn der Außer-Haus-Verkauf von Speisen erlaubt ist. Versichert ist der konkrete bei Vertragsschluss funktionierende Betrieb und nicht ein an die Pandemie-Situation angepasster Betrieb.

Unklarheitsregel

Trotz des Fehlens des Covid-19-Erregers in den Bedingungen entschied das Gericht, dass ein versicherter Krankheitserreger vorliegt. Begründet wurde dies mit der Verständnismöglichkeit der Versicherungsnehmer. Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Im Wortlaut des § 1 Nr. 2 AVB-BS wurde der Begriff „die folgenden“ verwendet und dies auf die in den §§ 6 und 7 IfSG benannten Erreger bezogen.

Für die Versicherungsnehmer ist dies als ein dynamischer Verweis auf die aktuell geltende Fassung des Gesetzes zu verstehen. Die Auflistung ist dann nur als Auszug der Erreger und nicht abschließen zu bewerten. Konträr dazu wäre auch ein Verständnis als statischer Verweis möglich, wonach nur die aufgelisteten Erreger versichert wären. Im AGB-Recht (welches auf Versicherungsbedingungen anzuwenden ist) gilt in solchen Fällen die Unklarheitsregel des § 305c I BGB. Es wird im Zweifel immer die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegung angewandt. Hier also auf das Verständnis als dynamischer Verweis der sich immer auf die aktuelle Fassung des IfSG bezieht.

Transparenzgebot

Im Übrigen wird eine Klausel im Sinne des Transparenzgebots gem. § 307 I S. 2 BGB unwirksam, wenn die Darstellung der Rechte und wirtschaftlichen Nachteile nicht durchschaubar erfolgt. Die Aufzählung der Erreger suggeriert eine Vollständigkeit und einen abschließenden Charakter der Aufzählung, welche eben nicht der Verständnismöglichkeit der Versicherungsnehmer entspricht. Die Rechte des Versicherungsnehmers und eine mögliche Deckungslücke für die Covid-19-Pandemie als wirtschaftlicher Nachteil werden nicht durchschaubar dargestellt.

Zudem deutet der Ausschluss einer Prionenerkrankung daraufhin, dass Krankheiten die nicht in § 6 IfSG aufgelistet sind und nicht versichert sein sollen, ausdrücklich ausgeschlossen worden sein müssten, so muss es ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer verstehen. Dies spricht gegen ein Verständnis, dass von vorneherein alle Krankheiten die nicht im IfSG gelistet waren, nicht versichert sein sollen. Aufgrund dessen ist die Klausel unwirksam und es genügt, dass der Betrieb aufgrund des IfSG geschlossen wurde, um die Entschädigung zu enthalten.

Verpflichtung zur Anpassung des Betriebes?

Das LG ging des Weiteren darauf ein, ob eine Verpflichtung dazu besteht die Betriebsschließung eines Restaurants zu verhindern, indem den Auflagen entsprechend der Betrieb mit Hygienekonzepten fortgeführt wird. Die Verpflichtung des Versicherungsnehmers den Schaden zu vermindern oder abzuwenden folgt aus § 82 VVG. Diese Vorschrift ist nur bei einer Schadensversicherung- und nicht auf eine Summenversicherung anzuwenden. Vorliegend handelt es sich angesichts der fest umrissenen Entschädigungssummen um eine Summenversicherung. Dennoch stellte das LG fest, dass es dem Versicherungsnehmer nicht zumutbar ist, unter Gefährdung seiner Gesundheit und der seiner Angestellten, einen Liefer- oder Abholbetrieb einzurichten.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Betriebsschließungen aufgrund der Covid-19-Pandemie häufen sich und oftmals verweisen die Versicherer auf ein fehlendes versichertes Risiko. Dabei ist der Wortlaut der Klauseln genau zu untersuchen, denn es kommt darauf an, welchen Sinngehalt die Versicherungsnehmer diesen entnehmen können. Sollten Sie von einer Betriebsschließung betroffen sein und eine Betriebsschließungsversicherung unterhalten, sollte im Streitfall ein Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultiert werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Betriebsunterbrechungsversicherung“ zusammengefasst. Insbesondere mit Blick auf die Covid-19 Pandemie gab es einige Rechtsprechungen, welche wir Ihnen unter Betriebliche Versicherungen zusammengefasst haben.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Anwalt berichtet über Gerichtsurteil zur Frage des Bestehens von Versicherungsschutz bei Betriebsschließung wegen Covid-19.

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