Zum Ende des letzten Jahres erging am 10.12.2020 ein Urteil des LG Flensburg (Az.: 4 O 153/20) zu der Frage, ob der Schaden aufgrund der Schließung wegen des Corona-Virus, von der Betriebsschließungsversicherung gedeckt ist.
Der Kläger unterhält eine Betriebsschließungsversicherung, konkret eine „Gastro Police“. Es sind Ertragsausfälle aufgrund einer Betriebsunterbrechung und -schließung wegen des Auftretens meldepflichtiger Krankheiten versichert. Den AVB der Betriebsschließungsversicherung liegt eine Auflistung von Krankheiten zugrunde, diese ist ein Abbild des bei Vertragsschluss geltenden Infektionsschutzgesetzes. Nachdem die Schließung gemeldet wurde, nahm die Versicherung eine Vorauszahlung für die ersten 15 Tage der Schließung in Höhe von 9.600€ vor. Diese erging unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Der Klagende begehrte sodann die Zahlung des vollständigen Betriebsschließungsschadens in Höhe von 30.000€ und verweist darauf, dass die Versicherung ihre Leistungsschuld mit der Vorauszahlung anerkannt habe.
Die Beklagte machte geltend, dass das Sars-Corona-Virus nicht in der Aufzählung der AVB geführt war und deshalb nicht von einer versicherten Krankheit auszugehen ist.
Das Landgericht Flensburg entschied, dass mit der Vorausleistung kein einklagbares Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) durch die Versicherung bestätigt wurde. Ein solches liegt nur dann vor, wenn die Parteien einen besonderen Anlass zur Gewissheit über die Bestätigung der Schuld haben. Dagegen spricht der Vorbehalt der Rückforderung, der Versicherer erkläre nicht mit Gewissheit, dass eine Zahlungszusage vorliegt. Schließlich kann die Schadensregulierung immer noch mit einem negativen Ergebnis enden.
Streit bestand über die Auslegung der AVB, denn diese enthalten eine Auflistung der versicherten Krankheitserreger, unter denen das Corona-Virus – zumindest wortwörtlich –nicht vorzufinden war. Die Aufzählung in Klausel § 1 Ziffer 2 der AVB beginnt wie folgt:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: […]“
Die daraufhin folgende Auflistung enthält nicht namentlich das Virus; dieses existierte zum Zeitpunkt der AVB-Fassung auch nicht. Das Corona-Virus wurde zum 30.01.2020 in den Kreis der nach §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu meldenden Erkrankungen aufgenommen. Diese Änderung gelangte nicht in die AVB.
Es oblag dem Gericht nun zu entscheiden, ob die Auflistung der Krankheiten als abschließend zu bewerten ist und somit kraft der Nicht-Benennung des Corona-Virus kein Versicherungsschutz besteht.
Die Klausel wird so ausgelegt, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, nach aufmerksamer Durchsicht und ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen muss. Maßgeblich ist der Wortlaut der Klausel. Unklarheit besteht darüber, ob die Verwendung des Wortes „namentlich“ so zu verstehen ist, dass die in der Auflistung der AVB wiedergegebenen Krankheiten abschließend sind oder die in §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz zum Zeitpunkt des Schadens vorzufinden Erreger gelten sollen. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer stellt sich die Klausel so dar, dass ein Zusammenspiel zwischen Infektionsschutzgesetz und Versicherungsschutz besteht. Diese Dynamik wird auch nicht durch die Wortwahl „die folgenden“ überwunden, da diese ebenfalls auf die Verwendung des Infektionsgesetz Bezug nimmt. Es liegen zwei rechtlich vertretbare Auslegungsmöglichkeiten vor.
Der Versicherungsnehmer müsste dauerhaft, um die Effektivität seines Versicherungsschutzes zu erhalten, den Katalog der Krankheiten in den AVB überprüfen. Der Sinn und Zweck der Erwähnung des Infektionsschutzgesetzes ist es, eine ständige Anpassung an die darin vorzufindenden Krankheiten zu vermeiden. Durch die Unklarheit bezüglich des abschließenden Charakters der Aufzählung greift die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Es ist die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegungsalternative anzuwenden.
Zu einer möglichen Unwirksamkeit aufgrund der Intransparenz der Klausel nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB hat sich das LG Flensburg nicht positioniert. Es wurde aber darauf verwiesen, dass die Notwendigkeit der dauerhaften Überprüfung des Versicherungsschutzes gegen eine transparente Klausel spreche. Es ist erforderlich, dass die möglichen wirtschaftlichen Nachteile und das zum Erhalt des Versicherungsschutzes erforderliche klar dargestellt wird.
Anders entschieden hat hierzu das LG Nürnberg (Urteil v. 29.12.2020 – Az.: 2 O 5654/20), wonach dieselbe Klausel nicht intransparent ist. Begründet wurde dies mit dem Umfang der Aufzählung, der dafürspricht, dass es keinen Gleichklang zum Infektionsgesetz geben soll. Maßgeblich war außerdem die Auslegung aus Sicht des Versicherers, der nicht jede denkbare Betriebsschließung übernehmen wollte. Diesen Sinnzusammenhang kann jedoch der durchschnittliche Versicherungsnehmer nur schwerlich nachvollziehen. Es wurde außerdem die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB außer Acht gelassen.
Die rechtliche Handhabung der Betriebsschließungsklauseln ist aktuell äußerst strittig. Sollte ihr Betrieb von einer pandemiebedingten Schließung betroffen sein, ist es sinnvoll die Betriebsschließungsversicherung auszuwerten. Mitunter ist trotz einer fehlenden Auflistung des Covid-19-Virus vollständiger Versicherungsschutz zu gewähren. Für die Klärung der Frage, ob Versicherungsschutz besteht sollte stets ein Fachanwalt für Versicherungsrecht betraut werden. Im Zweifel sind Klauseln aufgrund der Unklarheitsregel immer zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen.
Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Betriebsunterbrechungsversicherung“ zusammengefasst. Insbesondere mit Blick auf die Covid-19 Pandemie gab es einige Rechtsprechungen, welche wir Ihnen unter Betriebliche Versicherungen zusammengefasst haben.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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