Das Landgericht Darmstadt (LG Darmstadt) hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob der Versicherungsschutz im Rahmen einer Betriebsschließungsversicherung auch Corona umfasst und damit dem Versicherungsnehmer der geltend gemachte Leistungsanspruch gegen die Versicherung zusteht oder die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen abschließend ist und damit die Leistungen abzulehnen sind (LG Darmstadt, Urt. 14.12.2020 – 28 O 128/20). Auch in diesem „Corona-Streitfall“ klagte eine Hotelbetreiberin auf Leistungen aus dem Versicherungsvertrag.
Die Klägerin ist Betreiberin eines 4-Sterne-Wellnesshotels mit hoteleigenem Gourmet-Restaurant. Sie beherberge ausschließlich touristische Übernachtungsgäste, denen auch das Restaurant hauptsächlich vorbehalten ist. Bei der beklagten Versicherung unterhält die Klägerin eine Betriebsschließungsversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) AVB-BS, sowie die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Versicherungen von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) BBR-BS.
Ab dem 18.03.2020 hielt die Klägerin – seit diesem Zeitpunkt war dies durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und ab dem 27.03.2020 durch die an die Allgemeinverfügung zeitlich unmittelbar anschließende und diese ersetzende Bayerische Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie vom 27.03.2020 (BayIfSMV), angeordnet – ihren Betrieb vollständig geschlossen. Da in diesem Verfahren eine außergerichtliche Regulierung durch die Versicherung abgelehnt wurde, begehrte die Versicherungsnehmerin nun im Wege einer Klage vor dem LG Darmstadt von dem beklagten Versicherungsunternehmen Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung.
Das LG Darmstadt hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistung gemäß § 1 Nr. 1 a) i. V. m. § 2 Nr. 3 a) AVB-BS. Vorliegend sei ein Versicherungsfall im Sinne von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS, also eine Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) wegen des Auftretens einer meldepflichtigen Krankheit oder eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, gegeben.
§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
§ 1 Nr. 2 AVB-BS regelt meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:(…)“
„Das rechtliche Instrumentarium der Umsetzung der Betriebsschließung kann nicht über das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungsschutz entscheiden. Ob die Betriebsschließung durch eine Einzelmaßnahme für den konkreten Betrieb oder aber durch eine Allgemeinverfügung erfolgt, ist belanglos. Auch Versicherungsbedingungen sind nach Sinn und Zweck der Regelung auszulegen.“
Das LG Darmstadt führte zunächst aus, dass es sich bei dem die Erkrankung COVID-19 auslösenden Coronavirus um eine meldepflichtige Krankheit bzw. einen Krankheitserreger gemäß § 1 Nr. 2 AVB-BS handele. Die Formulierung „folgenden“ mit dem Verweis auf „im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlichen genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ sei nach Auffassung der Kammer mehrdeutig im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB mit der Folge, dass sie nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB und der darin positivierten sogenannten Unklarheitenregel zu Lasten des Versicherers als dynamische Klausel zu verstehen sei.
Maßgeblich für das Vorliegen einer Mehrdeutigkeit sei demnach, dass mindestens zwei Auslegungen der Klausel rechtlich vertretbar sind. Der Versicherte müsse darauf vertrauen können, dass sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Rahman dessen halten, was bei Würdigung aller Umstände bei Verträgen dieser Art zu erwarten ist. Die Ansicht, dass ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer davon ausgehen könne, dass allein die nachfolgend im Einzelnen aufgezählten Infektionen und Erreger erfasst sein sollen, teile die Kammer nicht.
Sie sei vielmehr davon überzeugt, dass für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer bei der streitgegenständlichen Formulierung aufgrund der Ausgestaltung des Verweises auf §§ 6 und 7 IfSG neben der Annahme einer statischen Verweisung auch die Annahme einer dynamischen Verweisung auf das IfSG in Betracht komme. Es werde mithin auf das IfSG in seiner jeweils aktuellen Fassung verwiesen, so das Gericht. Im Wortlaut des streitgegenständlichen § 1 Nr. 2 AVB-BS sei insbesondere nicht ausdrücklich klargestellt, dass etwa „nur die folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sein sollen.
Weiter komme hinzu, dass die Beklagte auf ihrer Homepage im März 2020 aktiv damit geworben habe, dass sie unter den bestehenden Versicherungsbedingungen ihrer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz auch für Corona gewähre. Jedenfalls sei § 1 Nr. 2 AVB-BS aufgrund mehrerer Verstöße gegen § 307 Abs. 1 BGB nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden, so das LG Darmstadt. Letztlich sei somit auch Corona vom Versicherungsschutz umfasst.
Das Gericht stellte ferner fest, dass mit dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auch die zuständige Behörde gehandelt habe. Ein Fehler im Rahmen der Zuständigkeit der handelnden Behörde würde im Streitfall zudem nicht zu einer Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 3 BayVwVfG, sondern nur zu einer Rechtswidrigkeit der erlassenen Allgemeinverfügung gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 BayVwVfG führen. Demnach sei ein bloß rechtswidriger Verwaltungsakt dennoch wirksam. Bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung sowie der streitgegenständlichen Rechtsverordnung handele es sich um behördliche Maßnahmen im Sinne der Versicherungsbedingungen, so die Kammer.
Da in den Versicherungsbedingungen keine weiteren formellen Anforderungen an die behördliche Schließungsanordnung gestellt werden, sei das Erfordernis eines ausschließlich auf die Klägerin bezogenen Verwaltungsaktes mit dem Wortlaut der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht vereinbar. Mithin sei die streitgegenständliche Allgemeinverfügung sowie die streitgegenständliche Rechtsverordnung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nichtig.
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Das LG Darmstadt hat damit erneut einer Klage gegen eine Versicherung wegen einer coronabedingten Betriebsschließung stattgegeben. Die Betreiberin des Hotelbetriebes erstritt eine Entschädigung in Höhe von 270.000,00 € aufgrund der coronabedingten Betriebsschließung. Damit reiht sich diese Entscheidung in die für Versicherte positiven Entscheidungen der Gerichte ein.
Viele Betreiber von Hotel- und Gaststättenbetrieben befinden sich aktuell in Klageverfahren gegen Versicherungen, bei welchen der Betrieb entsprechend gegen eine Betriebsschließung versichert wurde. So auch in einem weiteren Rechtsstreit vor dem LG Darmstadt, in welchem eine Hotelbetreiberin ihre Betriebsschließungsversicherung geklagt und gewonnen hat sind (LG Darmstadt, Urt. 09.12.2020 – 4 O 220/20).
Es sind noch viele weitere Entscheidungen zu den Betriebsschließungsfällen zu erwarten. Es wird stets auch das jeweilige erkennende Gericht ankommen, wie die wiederum jeweiligen und unterschiedlichen streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen auszulegen sind.
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Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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