Das Landgericht Hamburg (LG Hamburg) hatte darüber zu entscheiden, ob eine Vertragsberatung eines nichtanwaltlichen Legal-Tech-Anbieters unter die Erlaubnis zur Inkassotätigkeit bzw. als Versicherungsmakler fällt, oder ob ein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) vorliegt (LG Hamburg v. 26.03.2020 – 327 O 212/19).
Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg (RAK Hamburg) verlangt von der Beklagten – ein gewerblicher Legal-Tech-Anbieter – wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) Unterlassung. Gegenstand des Verfahrens vor dem LG Hamburg waren dabei das Angebot, die Bewerbung und die Vornahme von Prüfungsdienstleistungen zur Bewertung und Rückabwicklung von Versicherungs-, Kauf- und Darlehensverträgen auf den Internetseiten der Beklagten.
Mit den streitgegenständlichen Internetseiten hat die Beklagte den mit jenen Internetseiten betroffenen Verbrauchern danach u.a. mit den Ausführungen,
– „Warum Rückabwicklung möglich ist: Formfehler im Vertrag Welchen Vorteil Rückabwicklung bietet: Beiträge zurück plus Nutzungsersatz abzüglich Risikoschutz [sic]“ zu den Rubriken „Lebensversicherung“ und „Rentenversicherung“,
– „Warum Rückabwicklung möglich ist: Formfehler im Vertrag Welchen Vorteil Rückabwicklung bietet: Beiträge zurück abzüglich Risikoschutz [sic]“ zur Rubrik „Unfallversicherung“,
– „Warum Rückabwicklung möglich ist: Formfehler im Vertrag Welchen Vorteil Rückabwicklung bietet: ohne Vorfälligkeitsentschädigung raus aus altem Darlehen und Zinsen zurück [sic]“ zur Rubrik „Hypothekendarlehen“,
– „Warum Rückabwicklung möglich ist: Formfehler im Vertrag Welchen Vorteil Rückabwicklung bietet: Kaufpreis zurück bei Rückgabe des finanzierten Gegenstands/Fahrzeugs [sic]“ zur Rubrik „Verbraucherdarlehen“,
– „Warum Rückabwicklung möglich ist: Abgaswerte durch Software manipuliert Welchen Vorteil Rückabwicklung bietet: Kaufpreis zurück bei Rückgabe des VW, Audi, Seat, Skoda mit TDI-Motor EA 189 [sic]“ zur Rubrik „VW ‚Diesel-Skandal’“,
– „Warum Rückabwicklung möglich ist: Preisabsprachen deutscher Hersteller Welchen Vorteil Rückabwicklung bietet: Kaufpreis zurück bei Rückgabe des Kfz, das durch Absprachen verteuert wurde [sic]“ zur Rubrik „Deutsches ‚Auto-Kartell’“,
– „Warum eine Anfechtung möglich ist: Beitragsanpassungen nicht rechtmäßig Welchen Vorteil eine Anfechtung bietet: Beitragssenkung auf Niveau vor der/den unrechtmäßigen Anpassung(en) [sic]“ zur Rubrik „PKV Beitragsanpassung“ und
– „Warum ein Tarifwechsel möglich ist: Rechtsgrundlage ist § 204 VVG Welchen Vorteil ein Tarifwechsel innerhalb der Gesellschaft bietet: Beitragssenkung bei gleichwertigen Leistungen [sic]“ zur Rubrik „PKV Tarifwechsel“,
ohne Weiteres Rechtsdienstleistungen, mithin individuelle und einzelfallbezogene Prüfungs- und Beratungsdienstleistungen angeboten. Diese Ausführungen ergänzte die Beklagte mit den Zusätzen, dass sie den Betroffenen in jener Situation „nachträglich zu mehr.plus verhelfen“ könne. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte eine Kontaktaufnahmemöglichkeit zur individuellen Vertragsprüfung und Berechnung des „möglichen finanziellen Vorteils“ mit Hilfe ihrer Kooperationsanwälte angeboten.
Das LG Hamburg hat mit Beschluss vom 26.03.2020 festgestellt, dass eine Vertragsberatung durch die Beklagte nicht unter ihre Erlaubnis zur Inkassotätigkeit falle und damit gegen das RDG verstößt. Ferner käme auch keine Nebenleistung gemäß § 5 RDG in Betracht. Das sei auch dann der Fall, wenn die Beklagte einer Tätigkeit als Versicherungsmakler gemäß § 34d GewO nachgehe. Eine Vertragsberatung unterscheide sich dabei von der Inkassotätigkeit und könne dieser nicht einfach untergeordnet werden, so das Gericht.
Gemäß § 3 RDG ist die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie gesetzlich erlaubt wird. Bereits das Angebot einer unerlaubten Rechtsdienstleistung erfülle über den Wortlaut des § 3 RDG hinaus den Rechtsbruchtatbestand. Denn schon das Erbieten zur Rechtsdienstleistung ohne entsprechende Erlaubnis begründe die Gefahr, dass der Empfänger des Angebots sich an einen nicht ausreichend qualifizierten Rechtsdienstleister wenden werde.
Gemäß § 2 Abs. 1 RDG ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert, eine Rechtsdienstleistung. Insoweit sei unerheblich, mit welchen technischen Hilfsmitteln die Rechtsdienstleistung erbracht wird. Des Weiteren sei für die Frage der Erforderlichkeit einer rechtlichen Prüfung die subjektive Verkehrsanschauung und die erkennbare Erwartung des von dem Angebot der Beklagten angesprochenen Verkehrskreises zu berücksichtigen.
Die Beklagte bewarb mit den streitgegenständlichen Internetseiten die erlaubnispflichtige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, ohne über die hierfür erforderliche Erlaubnis zu verfügen. Daran ändere auch der Hinweis der Beklagten auf Kooperationsanwälte, die angeblichen die Prüfung durchführen sollen, nichts.
„Das rechtliche Instrumentarium der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung kann im Einzelfall berechtigt sein. Doch dazu müssen auch die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Diese müssen zwingend in jedem Einzelfall genauestens juristisch überprüft werden.“
Das LG Hamburg folgt der Beurteilung des BGH aus der „wenigermiete“- Entscheidung (BGH Urteil vom 27.11.2019 –VIII ZR 285/18). Demnach sei der Begriff der Inkassotätigkeit unter Beachtung des Schutzzwecks des RDG, nämlich der Schutz der Rechtsordnung, des Rechtsverkehrs und der Rechtssuchenden vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen, eher weit zu fassen. Für die auf dieser Grundlage vorzunehmende Beurteilung, ob sich die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters innerhalb seiner Inkassodienstleistungsbefugnis gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG hält, ist eine einzelfallbezogene Prüfung vorzunehmen. Zu berücksichtigen seien dabei Wertentscheidungen des Grundgesetzes in Form von Grundrechten der Beteiligten sowie der Vertrauensgrundsatz.
Danach sei die Beklagte mit ihren konkreten rechtlichen Prüfungs- und Beratungsangeboten deutlich über den Rahmen der ihr als registrierter Inkassodienstleisterin erlaubten Tätigkeiten hinausgegangen. Einem Inkassodienstleister sei zwar eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und eine substantielle Beratung des Kunden über den Forderungsbestand erlaubt. Jedoch hat vorliegend die Beklagte nicht mit der Einziehung von Forderungen geworben. Stattdessen hat sie mit einer von der Frage einer etwaigen Forderungseinziehung losgelöste rechtliche Prüfung geworben. Insoweit kann sie sich nicht auf ihre Registrierung als Rechtsdienstleisterin im Bereich Inkassodienstleistungen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG berufen.
Auf ihre Gewerbeerlaubnis als Versicherungsmaklerin gemäß § 34d Abs. 1 GewO kann sich die Beklagte auch nicht berufen, da sie sich mit den streitgegenständlichen Angeboten an Verbraucher gewendet hat.
Gemäß § 34d Abs. 1 Satz 8 GewO umfasst die einem Versicherungsmakler erteilte Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung lediglich die Befugnis, Dritte, die nicht Verbraucher sind, bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen gegen gesondertes Honorar rechtlich zu beraten. Diese Beratungstätigkeit ist gemäß § 5 Abs. 1 RDG erlaubt, wenn sie im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erbracht wird und eine Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild darstellt. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und dem sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind.
Die Befugnis zur Beratung erstreckt sich auch auf Beschäftigte von Unternehmen in den Fällen, in denen der Versicherungsmakler das Unternehmen berät. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass § 34d GewO wegen der eindeutigen Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf Dritte, die nicht Verbraucher sind, die rechtliche Beratung bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen gegen gesondertes Honorar bei Verbrauchern im Sinne des § 13 BGB nicht umfasst. Die Vorschrift des § 34d GewO kann demnach für die Beratung von Verbrauchern nicht als Erlaubnisnorm angewandt werden.
Letztendlich könne sich die Beklagte weder aufgrund ihrer früheren Registrierung als Inkassodienstleisterin noch aufgrund ihrer Gewerbeerlaubnis als Versicherungsmaklerin auf § 5 RDG berufen.
Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer befürchtet weiterhin eine unqualifizierte Konkurrenz im Bereich rechtsberatender Tätigkeit. Die RAK Hamburg, die als berufsständische Organisation der im Bezirk des OLG Hamburg zugelassenen Rechtsanwälte die Aufgabe hat, die beruflichen Belange ihrer Kammermitglieder zu wahren und zu fördern, verfolgt mithin- was auch der Schutzzweck des RDG vorsieht – ein Ziel: Schutz der Rechtsordnung, des Rechtsverkehrs und der Rechtssuchenden.
Kanzlei Jöhnke & Reichow unterstützt im Fall von wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen. Wurden Sie abgemahnt, ist schnelle juristische Hilfe erforderlich. Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Jöhnke Reichow stehen Versicherungsvermittlern als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung. Wir vertreten Ihre Interessen!
Diese nachvollziehbare Entscheidung zeigt einmal mehr, dass Grenzen in Bezug auf die rechtliche Beratung gibt. Nicht jeder Berufsstand kann Rechtsberatung erbringen. Auch die Erlaubnistatbestände der Gewerbeordnung – den Versicherungsberater ausgenommen – decken eine solche Tätigkeit nicht, soweit es sich nicht um eine zulässige Annex-Beratung zur eigentlichen Vermittlungstätigkeit handelt. Die RAK Hamburg ist bereits vorher erfolgreich gegen einen Vertragsgenerator-Anbieter gerichtlich vorgegangen (siehe LG Köln v. 08.10.2019 – 33 O 35 / 19).
Damit sollte klar sein, dass auch die Rechtsanwaltskammern der Länder durchaus „Legal-Techs“ auf Sicht haben und bei etwaigen „Verstoßmöglichkeiten“ gegen das RDG – auch von Versicherungsmaklern – entsprechend reagieren. Aus diesem Grunde sollten „Tech-Unternehmen“ frühestmöglich versierte anwaltlicher Beratung in Anspruch nehmen, bevor das praktizierte Geschäftsmodell gerichtlich für unzulässig erklärt wird.
Letztendlich muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die mit der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach bestehen. Eine umfassende Einzelfallprüfung ist daher von erheblicher Bedeutung und zwingend erforderlich. Wichtig ist hierbei die Einhaltung der in der Abmahnung gesetzten Fristen. Werden diese Fristen nicht eingehalten, drohen weitere, kostenpflichtige, rechtliche Schritte.
Dem Abgemahnten könnten in diesem Falle also weitere Kosten entstehen, wenn im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine einstweilige Verfügung bei Gericht beantragt wird und / oder ein Hauptsacheverfahren vor dem zuständigen Gericht angestrengt wird.
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Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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