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Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung: Vom Dachdecker zum Rettungsassistenten (OLG Düsseldorf)

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung darf die Verweisung eines Dachdeckers auf den Beruf eines Rettungsassistenten vernehmen. So hat das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 22.10.2018 entschieden (Az: I-24 U 4/18). Das OLG sieht die Lebensstellung der beiden Berufe in dem vorliegenden Sachverhalt als vergleichbar an.

Verweisung eines Dachdeckers

Ein ehemaliger Dachdecker bezog wegen Berufsunfähigkeit Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung. Bei Eintritt der Berufsunfähigkeit war der Versicherte noch keine drei Jahre im Betrieb tätig und erhielt deshalb noch nicht den vollen Gesellentariflohn. Nach Eintritt der Berufsunfähigkeit begann der Versicherte als Rettungsassistent zu arbeiten. Sein Berufsunfähigkeitsversicherer stellte im Zuge einer Nachprüfung die Leistungen ein und verwies den Versicherten auf dessen Tätigkeit als Rettungsassistent.

Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit

Eine Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit kommt gemäß den Bedingungen des Berufsunfähigkeitsversicherers grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers entspricht.

Die bisherige Lebensstellung wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Unberücksichtigt bleiben dadurch Tätigkeiten, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen erfordern als der bisherige Beruf. Zur Orientierung dienen also die Kenntnisse und Erfahrungen, die für eine ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt werden. Eine Vergleichbarkeit der Berufe liegt dann vor, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Auch in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung darf die neue Erwerbstätigkeit nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinken.

Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf bejahte vorliegend die Vergleichbarkeit beider Tätigkeiten (Dachdecker ./. Rettungsassistent). Dazu führte das OLG aus, dass eine Tätigkeit als Rettungsassistent keine geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten als die eines Dachdeckergesellen erfordert. Schließlich erfordern beide Berufe eine qualifizierte Ausbildung. Laut OLG Düsseldorf liegt außerdem die soziale Wertschätzung eines Rettungsassistenten nicht unter der eines Dachdeckergesellen.

Vergleichbarkeit anhand der Vergütung

Das OLG Düsseldorf zog weiterhin bei der Vergleichsbetrachtung das tatsächlich zuletzt verdiente Gehalt des Versicherten heran, da das erzielte Einkommen bei Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblich ist. Vorliegend war demnach zu berücksichtigen, dass der Versicherte noch keinen vollen Gesellenlohn bezogen hat.

Laut dem OLG Düsseldorf sind bei der Vergleichsberechnung auch Zulagen zu berücksichtigen, die regelmäßig und verlässlich gezahlt werden. Diese prägen als tarifvertraglich geschuldete Vergütung für Wochenend- und Nachtdienst die Einkommenssituation und Lebensstellung. Demnach waren vorliegend die dem Versicherten als Rettungsassistent gezahlten Zulagen bei der Einkommensberechnung zu berücksichtigen.

Nach den Berechnungen des OLG Düsseldorf verdiente der Versicherte in seinem neuen Beruf ca. 5 % weniger als bei der Tätigkeit als Dachdeckergeselle. Das OLG Düsseldorf stellt klar, dass geringe Einkommensverluste in einem zumutbaren Rahmen bei der Verweisung hinnehmbar sind. Ein Einkommensverlust von weniger als 10 % sei zumutbar. Das OLG beurteilte daher das Einkommen des Versicherten zuvor und auch in seinem neuen Beruf als gleichwertig.

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Arbeitszeit und Freizeitgestaltung

Das OLG Düsseldorf entschied auch, dass vorliegend die wöchentliche Arbeitszeit einer Verweisung nicht entgegensteht.

Dass der Versicherte als Rettungsassistent nicht mehr regelmäßig die Wochenenden für seine Freizeitgestaltung und sozialen Kontakte einplanen kann und seine freien Tagen auch unter der Woche liegen können, ist laut OLG unerheblich. Das OLG begründet dies damit, dass Einkommen nicht mit Freizeit zu verrechnen ist; mit vermehrter Freizeit ist kein Unterhalt zu erzielen. Abweichungen bei der Arbeitszeit und -aufteilung sind vielmehr in zumutbarem Umfang vom Versicherten hinzunehmen. In diesem Zusammenhang weist das OLG darauf hin, dass auch der Beruf des Dachdeckers von wechselnden Arbeitszeiten und damit einhergehenden Änderungen der freien Zeit geprägt ist. Schließlich ist auch bei dem Beruf als Dachdecker eine Umverteilung der wöchentlichen Arbeitszeit aufgrund jahreszeitlicher Licht- und Witterungsbedingungen vorgesehen.

Fazit und Praxishinweis

Eine Leistungseinstellung des Versicherers nach Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens unterliegt bekanntermaßen formalen und materiellen Voraussetzungen (vgl. OLG Saarbrücken v. 07.04.2017 – Az. 5 U 32/14. Wie man an dieser vorliegenden Entscheidung sieht, ist jedes Nachprüfungsverfahren ein Einzelfall.

Werden nach einem Anerkenntnis neue Tätigkeiten aufgenommen, so kann der Versicherer im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens eine konkrete Verweisung aussprechen. Natürlich nur, wenn durch die neue Tätigkeit die bisherige Lebensstellung gewahrt wird (vgl. OLG Jena v. 21.12.2017 – Az. 4 U 699/13) und zum Beispiel keine unzulässige Verweisung auf neu erworbene Fähigkeiten im Nachprüfungsverfahren vorliegt (vgl. LG Nürnberg-Fürth v. 14.12.2017 – Az. 2 O 3404/16). Der  BGH hatte sich mit Urteil vom 20.12.2017 (Az: IV ZR 11/16) ebenfalls mit der Thematik der „bisherigen Lebensstellung“ auseinanderzusetzen gehabt. Dass mit vermehrter Freizeit kein Unterhalt zu erzielen, dürfte ebenfalls nachvollziehbar sein (vgl. BGH v. 07.12.2016 – Az. IV ZR 434/15).

Für die Praxis ist folglich festzustellen, dass es sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers anwaltlich überprüfen zu lassen. Dieses gerade auch in Hinsicht eines durch den Versicherer durchgeführten Nachprüfungsverfahrens. Wie eine solche Überprüfung der Entscheidung im Nachprüfungsverfahren aussehen kann, kann unter „Berufsunfähigkeitsversicherung: Das BU-Nachprüfverfahren“ eingesehen werden. Das Nachprüfungsverfahren ist dabei nur ein Teil des gesamten BU-Verfahrens. Der genaue Ablauf eines BU-Verfahrens kann unter „Berufsunfähigkeitsverfahren: Der Ablauf des BU-Verfahrens“ eingesehen werden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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