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Berufsbegriff in der Berufsunfähigkeitsversicherung bei mehreren Tätigkeiten (BGH)

Mit Beschluss vom 16.01.2019 (Az: IV ZR 182/17) hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Rechtsfrage zu befassen, wie der Berufsbegriff auszulegen ist, wenn der Versicherungsnehmer parallel zur bisher ausgeübten Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit ausübt und einen Berufswechsel plant. Hierbei ging es vor allem um die Abgrenzung der Erwerbstätigkeit vom Hobby.

Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer ist angestellter Beschäftigter. Neben seiner Tätigkeit als Angestellter gründete er ein Einzelunternehmen, das sich mit dem Import und der Zucht von Korallen befasste. Er beabsichtigte später einmal nur noch sein Einzelunternehmen zu betreiben und seine Angestelltentätigkeit aufzugeben. Seinen Lebensunterhalt verdiente er hauptsächlich durch seine Angestelltentätigkeit. Nachdem der Versicherungsnehmer sich bei einem Sturz Beinverletzungen zuzog, war er u. a. beim Gehen stark eingeschränkt. Auch nach mehreren Operationen der Kniee verblieben Einschränkungen und Schmerzen. Da er sich verletzungsbedingt nicht mehr um die Korallenzucht kümmern konnte, stellte er sein Einzelunternehmen ein und stellte einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen).

Der Berufsunfähigkeitsversicherer lehnte Versicherungsleistungen ab, da der Versicherungsnehmer in seinem Beruf als Angestellter noch zu mehr als 50% berufsfähig war. Der Beruf als Korallenzüchter, bei der der Versicherungsnehmer zu 100% berufsunfähig wurde, war nach Ansicht des Versicherers für die Frage der Berufsunfähigkeit bedeutungslos und mit Blick auf die Einkommensverhältnisse des Versicherungsnehmers zu vernachlässigen.

Berufsunfähigkeit i. S. d. § 172 Abs. 2 VVG

 Nach § 172 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist berufsunfähig, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Damit wird klar, dass im Sinne einer Berufsunfähigkeitsversicherung grundsätzlich auf die vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgeübte und prägende Tätigkeit hin geprüft wird.

In der Berufsunfähigkeitsversicherung versteht man unter einem Beruf eine echte, auf Dauer angelegte, dem Erwerb des Lebensunterhalts dienende, plan- und regelmäßige Tätigkeit.

BGH zur Auslegung des Berufsbegriffs

Der BGH stellt klar, dass der Versicherungsschutz auch mehrere nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten erfassen kann. Ein Beruf könne sich auch aus Haupt- und Nebentätigkeiten zusammensetzen oder mehrere zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeübte Tätigkeiten als ein Berufsbild mit verschiedenen Bereichen anzusehen sein. Der BGH lehnt es hier ab, den Grad der Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers anhand einer Gesamtbetrachtung seiner angestellten und selbstständigen Tätigkeit zu ermitteln. Diese stellen nicht gemeinsam die versicherte Tätigkeit dar, da diese gerade nicht kumulativ, sondern alternativ der Erhaltung der Lebensgrundlage dienen sollten.

Bei dem Begriff des „zuletzt ausgeübten Berufs“ sei zudem die Erwerbstätigkeit von Hobbies abzugrenzen. Laut BGH übte der Versicherungsnehmer seine selbstständige Tätigkeit bis zum Unfall als Hobby und noch nicht als Beruf neben seiner Angestelltentätigkeit aus. Maßgeblich bei der Abgrenzung sei, inwieweit ein Versicherter die konkrete Tätigkeit zur Erhaltung der Lebensgrundlage einsetzt. In diesem Fall hatte der Versicherte seine Lebensgrundlage nur durch seine Tätigkeit als Angestellter geschaffen.

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Geplanter Berufswechsel unbeachtlich

Klärungsbedürftig war außerdem, wie der Berufsbegriff auszulegen ist, wenn der Versicherungsnehmer parallel zur vormals ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Wechsel der Tätigkeit trifft. Dies kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden werden, so der BGH.

Vorliegend hatte der Versicherungsnehmer nur für die Zukunft gehofft, zum Erhalt der Lebensgrundlage seine Angestelltentätigkeit durch seine selbstständige Tätigkeit abzulösen. Dies ist laut BGH aber lediglich eine „nicht versicherte Hoffnung“ und für den maßgeblichen Unfallzeitpunkt unerheblich. Hoffnungen und Erwartungen auf einen künftigen Beruf sind, das macht der BGH deutlich, nicht zu berücksichtigen. Maßstab für die Frage der Berufsunfähigkeit bleibt somit vorliegend allein die berufliche Angestelltentätigkeit, auch wenn der Versicherungsnehmer plante, das Hobby künftig als alleinige berufliche Tätigkeit auszuüben.

Die Entscheidung des BGH

Im Ergebnis sah der BGH die für die Frage der Berufsunfähigkeit allein maßgebliche Tätigkeit also in der Vollzeitbeschäftigung als Angestellter, bei der der Versicherungsnehmer noch zu mehr als 50 % berufsfähig war. Mit dem vorliegenden Beschluss lehnte der BGH infolgedessen eine Berufsunfähigkeit und somit eine Leistungspflicht des Versicherers ab.

Die Entscheidung des BGH ist zwar bedauerlich für den Versicherten, im Ergebnis aber nachvollziehbar. Hobbies und geplante Tätigkeiten können im Rahmen einer Leistungsfallprüfung des Versicherers keine Berücksichtigung finden. Erst wenn sich Tätigkeiten derart manifestiert haben, dass sie dem Erhalt der Lebensgrundlage dienen, können diese „versichert“ sein. Diese Entscheidung könnte in jedem anderen Fall auch entsprechend anders ausfallen. Es existieren indes auch Grauzonen, etwa wie bei einer Hausfrau oder einem Hausmann.

Beruf Hausfrau und Hausmann möglich?

Widmet sich zum Beispiel eine berufstätige Frau wegen der Geburt ihrer Kinder der Erziehung und der Haushaltsführung, kann darin nur dann ein neuer Beruf gesehen werden, wenn ihre Übernahme auf einer bewussten beruflichen Entscheidung beruht, unter Aufgabe des bisherigen Berufs zum Lebensunterhalt nunmehr durch Hausarbeit beizutragen. Dagegen ist ein Berufswechsel nicht anzunehmen, wenn die Aufnahme der Haushaltstätigkeit ihren Grund in einer bloßen Unterbrechung der bisher ausgeübten Berufstätigkeit hat, etwa aufgrund vorübergehender Arbeitslosigkeit oder aus familiären Gründen (BGH v. 30.11.2011 – IV ZR 143/10). In diesem Falle wäre so dann für die Prüfung der Berufsunfähigkeit das „alte“ Tätigkeitsbild zugrunde zu legen.

Praxishinweis

Für die Praxis ist damit festzustellen, dass es im Bereich der Berufsunfähigkeit sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers juristisch überprüfen zu lassen. Insbesondere müssen die entsprechenden Tätigkeitsprofile des Versicherten bereits am Anfang des Verfahrens, also beim Leistungsantrag schon, qualifiziert herausgearbeitet werden.

Vor diesem Hintergrund ist es für Vermittler und Versicherte zweckmäßig sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungen geltend gemacht werden. Auch ist an dieser Entscheidung zu erkennen, dass es sinnvoll ist frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten vereitelt werden könnten. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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