Der Zeitpunkt des Rechtschutzfalles beim Passivprozess (BGH)

Mit Urteil vom 03.07.2019 (Az. IV ZR 111/18 ) entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass auch im Passivprozess des Versicherungsnehmers einer Rechtsschutzversicherung bei der zeitlichen Festlegung des Rechtsschutzfalles nur auf denjenigen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften abzustellen ist, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner im Ausgangsrechtsstreit anlastet. Am selben Tage entschied der BGH auch zum Aktivprozess (BGH v. 03.07.2019 – IV ZR 195/18).

Der Sachverhalt vor dem BGH

Die Klägerin begehrt von der beklagten Rechtsschutzversicherung aus einem bis zum 01.01.2015 bestehenden Versicherungsvertrag die Kostendeckung für die Abwehr einer Darlehensforderung. Das zinslose Darlehen hatte die Klägerin 2008 aufgenommen. Bis Anfang 2011 leistete sie hierauf die vereinbarten Raten. Im September 2015 kündigten die Erben des Darlehensgebers das Darlehen wegen Zahlungsverzugs.

Die Klägerin verweigert die Rückzahlung und macht geltend, der Darlehensgeber habe das Darlehen bereits 2011 gekündigt, und erhob die Einrede der Verjährung. Die beklagte Rechtsschutzversicherung wendet unter Berufung auf § 14 ARB 1975/95 ein, dass der Rechtsschutzfall erst nach Ende des Versicherungsvertrages eingetreten sei. In den Versicherungsbedingungen heißt es:

§ 14 Eintritt des Versicherungsfalles

(1) Bei Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gilt als Versicherungsfall der Eintritt des dem Anspruch zugrundeliegenden Schadenereignisses. … (2) In den Fällen, in denen dem Versicherungsnehmer die Verletzung einer Vorschrift des Straf-, Ordnungswidrigkeiten-, Disziplinar- oder Standesrechtes vorgeworfen wird, gilt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer begonnen hat oder begonnen haben soll, die Vorschrift zu verletzen. Bei Verfahren wegen Einschränkung, Entzuges oder Wiedererlangung der Fahrerlaubnis gilt das gleiche. …

(3) In allen übrigen Fällen gilt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei tatsächliche oder behauptete Verstöße, die länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsvertrages für das betroffene Wagnis zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben. Liegt der tatsächliche oder behauptete Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften innerhalb von drei Monaten nach Versicherungsbeginn oder löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor oder innerhalb von drei Monaten nach Versicherungsbeginn vorgenommen wird, den Versicherungsfall aus, besteht kein Versicherungsschutz …“

§ 14 entspricht § 4 Abs. 1c ARB 2010

§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Rechtsschutz

(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles

  1. a) im Schadenersatz- Rechtsschutz gemäß § 2a) von dem ersten Ereignis an, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll;
  2. b) im Beratungs-Rechtsschutz für Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrecht gemäß § 2k) von dem Ereignis an, das die Änderung der Rechtslage des Versicherungsnehmers oder einer mitversicherten Person zur Folge hat;
  3. c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Das LG Hechingen wies die Klage ab (LG Hechingen v. 13.10.2017 – 1 O 75/17). Ebenso das OLG Stuttgart (OLG Stuttgart v. 22.03.2018 – 7 U 192/17). Mit der Revision zum BGH verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die rechtliche Wertung des BGH

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheide über die zeitliche Einordnung des Rechtsschutzfalles allein der Tatsachenvortrag, mit dem der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzbegehren begründe. Das gelte im Vertragsrechtsschutz unabhängig davon, ob sich der Versicherungsnehmer in einer Aktiv- oder Passivrolle befinde.

Nach Ansicht des BGH habe die Klägerin vorliegend keinen Anspruch auf eine Rechtsschutzdeckung, da der Versicherungsfall erst mit der Geltendmachung des nach Auffassung der Klägerin verjährten Rückzahlungsanspruchs durch die Erben des Darlehensgebers (September 2015) und damit erst nach Beendigung der Rechtsschutzversicherung (Januar 2015) eingetreten sei.

Die Festlegung des Versicherungsfalles richte sich dabei nach § 14 (3) ARB, wonach der Versicherungsfall als eingetreten gilt, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen (s.o.). Dabei komme es allein auf die Tatsachen an, mit denen der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzbegehren begründet.

Bei der Verfolgung eigener vertraglicher Ansprüche werde der durchschnittliche Versicherungsnehmer einen den Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß allein in dem Fehlverhalten sehen, das er seinem Gegner zur Last legt und auf das er seinen Anspruch stützt. Auf ein etwaiges eigenes Fehlverhalten ließen sich eigene Ansprüche nicht stützen. Daher sei es bei Aktivprozessen des Versicherungsnehmers für die Bestimmung des Versicherungsfalles unerheblich, welche Einwendungen der Gegner erhebt. Das Vorbringen des Versicherungsnehmers müsse einen objektiven Tatsachenkern enthalten, mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbindet, der den Keim für die rechtliche Auseinandersetzung enthält und auf den er seine Interessenverfolgung stützt. Dabei komme es nicht auf die Schlüssigkeit, Substantiiertheit oder die Entscheidungserheblichkeit dieser Behauptungen an.

Diese Rechtsprechung, die der Senat für Aktivprozesse des Rechtsschutz-Versicherungsnehmers entwickelt hat, sei unmittelbar auch auf Passivprozesse zu übertragen. Eine Unterscheidung von Aktiv- und Passivrechtsstreit erübrige sich, weil für die Bestimmung des Versicherungsfalles in jedem Fall allein das Vorbringen des Versicherungsnehmers und der Verstoß entscheidend sei, den er seinem Gegner anlaste. Im eigenen Interesse des Versicherungsnehmers dürfe nicht dessen Gegner in der Hand haben, ihm durch seinen Vortrag den Deckungsschutz der Versicherung zu entziehen. Er dürfe erwarten, dass der Versicherer von seiner, des Versicherungsnehmers, Darstellung und nicht vom Vorbringen des Gegners ausgeht.

Als „Verstoß“ sei hier also die nach Darstellung des Versicherungsnehmers rechtlich unbegründete Geltendmachung der angeblich verjährten Darlehensforderung anzusehen. Offen bleiben könne, so der BGH, ob bereits die erste Geltendmachung oder erst die Weiterverfolgung nach Erhebung der Verjährungseinrede maßgeblich sei, da beides erst nach Ende des Versicherungsvertrages im Lauf des Jahres 2015 erfolgt sei.

Fazit und Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung führt der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Bestimmung des Versicherungsfalls in der Rechtsschutzversicherung fort (vgl. BGH v. 03.07.2019 – IV ZR 195/18; BGH v. 25.05.2015 – IV ZR 214/14; BGH v. 30.4.2014 – IV ZR 47/13; BGH v. 24.04.2013 – IV ZR 23/12).

Die Behandlung von Passivprozessen war bisher juristisch noch umstritten. Der BGH beendete diesen Streit und setzte auch in dieser Angelegenheit Maßstäbe zur Behandlung von Rechtsschutzfällen. Die Entscheidung ist im Ergebnis absolut nachvollziehbar. Maßgeblich für den Eintritt des Rechtschutzfalls muss der Tatsachenvortrag des Versicherten sein. Denn ansonsten würde die Deckung durch die Rechtsschutzversicherung von Tatsachen abhängig sein, die sich möglicherweise erst in einem laufenden Versicherungsprozess ergeben, beispielsweise bei einer vermeintlichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung. Diese wird ja meist erstmal nur von dem Berufsunfähigkeitsversicherer – anhand von Indizien – behauptet. Am Ende eines Instanzenzuges stellt sich dann nach diversen Beweisaufnahmen heraus, dass möglicherweise gar keine vorgelegen hat. Lehnt nun aber der Rechtsschutzversicherer die Deckung aufgrund dessen ab, so geht dieser Umstand in diesem Beispiel zu Lasten des Versicherungsnehmers. Dieses Ergebnis ist unerträglich. Im Umkehrschluss muss natürlich der Versicherungsnehmer dieses auch gegen sich – wie vorliegend – gelten lassen.

Begehrt der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung also Deckungsschutz für die Abwehr von Ansprüchen (Passivprozess), so richtet sich nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs die Auslösung des Rechtsschutzfalles allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchsgegners, auf die er seinen Anspruch stützt. Vorliegend also die Geltendmachung der Darlehensforderung. Liegt demnach die Pflichtverletzung in der versicherten Zeit, so steht dem Versicherungsnehmer ein Deckungsanspruch aus seinem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu. Liegt die Pflichtverletzung außerhalb der versicherten Zeit – wie hier – nicht.

Was ist noch nicht Rechtsschutz Versicherten zu raten?

Bevor es also zu einem Versicherungsfall kommt, sollten Interessenten – bzw. noch nicht Rechtsschutz Versicherte – dringend eine Rechtsschutzversicherung abschließen. Ebenfalls ist Versicherungsvermittlern zu raten, den Kunden den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung frühestmöglich anzuraten. Denn ist der Versicherungsfall erst eingetreten und hat der Kunde zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsschutzversicherung, so muss er Rechtsanwaltskosten und Prozesskosten selbst bezahlen. Dieses kann bei Versicherungsprozessen – zum Beispiel bei einem Rechtsstreit in Bezug auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung – sehr kostspielig werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Rechtsschutzversicherung“ zusammengefasst.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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