Der BGH hatte sich mit Urteil vom 03.04.2019 (Az.: IV ZR 90/18) wieder zu der Frage der Verjährung des Stammrechts in der Berufsunfähigkeitsversicherung zu befassen gehabt.
Die Versicherungsnehmerin unterhält eine fondsgebundene Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ). Aufgrund eines Skiunfalls wurde sie bedingungsgemäß berufsunfähig (Zur Definition der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit siehe auch Wann liegt eine bedingungsgemäße Berfunfsunfähigkeit vor). Sie stellte einen Leistungsantrag, den die Berufsunfähigkeitsversicherung jedoch ablehnte. Die Versicherungsnehmerin nahm daraufhin den Versicherer auf Befreiung von der Beitragszahlungspflicht in Anspruch. Der Versicherer erhob die Einrede der Verjährung.
Nach § 12 Abs. 1 VVG in der alten Fassung verjähren Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in zwei Jahren, bei einer Lebensversicherung in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt dabei mit dem Schluss des Jahres, in welchem die Leistung verlangt werden kann. Nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs ist der Versicherer berechtigt, Leistungen zu verweigern.
In Absatz 3 steht, dass der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei wird, wenn der Anspruch auf die Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wird. Das Versicherungsvertragsgesetz gilt seit dem 01.01.2008 in einer neuen Fassung.
Schon vor diesem Urteil ging der BGH davon aus, dass der Gesamtanspruch – das sog. „Stammrecht“ – des Versicherungsnehmers aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung besteht (vgl. BGH v. 20.01.1955 – Az. II ZR 108/54). Ein solcher Anspruch beruht auf dem Leistungsversprechen des Versicherers. Dieses Stammrecht unterliegt nach bisheriger Rechtsprechung des BGH der Verjährung gem. § 12 Abs. 1 VVG a. F.
Aus dem vorliegenden Urteil wird ersichtlich, dass der BGH an seiner Rechtsprechung – auch nach der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 – festhält. Das Stammrecht des Versicherungsnehmers einer Berufsunfähigkeitsversicherung aus einem Versicherungsfall unterliegt demnach auch weiterhin der Verjährung. Dies betrifft sowohl den Anspruch auf Rentenzahlungen als auch – wie hier – den Anspruch auf Befreiung von der Verpflichtung zur Beitragszahlung. Aus der Streichung des § 12 Abs. 1 VVG a. F. ergeben sich laut BGH keinerlei Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber sich mit der Reform gegen eine Stammrechtsverjährung entschieden hat.
Der BGH führt aus, dass eine Verjährung des Stammrechts interessengerecht sei. Es würde den Versicherer unbillig belasten, sich Jahre nach einer Leistungsablehnung noch mit einem Versicherungsfall auseinandersetzen zu müssen, den er für abgeschlossen hielt. Ein solcher ist angesichts des Zeitablaufs nur noch schwierig aufklärbar. Es entspreche dem Zweck des Verjährungsrechts ihn davor zu schützen. Ein Schuldner soll gerade davor geschützt werden, noch nach Jahren mit nicht mehr erwarteten Ansprüchen überzogen zu werden.
Auch sei die Verjährung des Stammrechts nicht unzumutbar für den Versicherungsnehmer. Dieser kann mittels einer Klage auf künftig wiederkehrende Leistungen gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung hemmen. Er wird auch nicht damit rechnen, nach einer Leistungsablehnung des Versicherers dennoch erfolgreich Leistungen geltend machen zu können, wenn er viele Jahre untätig blieb und den konkreten Versicherungsfall zu spät verfolgt. Er wird davon ausgehen, dass er Ansprüche innerhalb einer gewissen Frist geltend machen muss.
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Auch aus der Streichung von § 12 Abs. 3 VVG a. F. im Rahmen der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 ergibt sich laut BGH nicht, dass Stammrechte nicht verjähren können. Daraus könnten keine Rückschlüsse für die Frage der Stammrechtverjährung gezogen werden. Die Vorschrift verhalte sich nicht zur Verjährung. Vielmehr stellte sie den Versicherer von der Leistungsverpflichtung frei, wenn der Leistungsanspruch nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wurde. Danach konnte der Versicherer also schon vor Ablauf der Verjährungsfrist frei werden. Diese Privilegierung wurde mit der Streichung der Vorschrift beendet.
Mit der Streichung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. ist die Möglichkeit des Versicherers entfallen, die Verjährungsfrist zulasten des Vertragspartners einseitig zu verkürzen. Der BGH betont, dass das aber nichts an der selbstständigen Verjährung des Stammrechts nach allgemeinem Verjährungsrecht geändert hat.
Das sogenannte „Berufsunfähigkeits-Verfahren“ beginnt bereits mit dem Leistungsantrag. Aus diesem Grund sollte frühzeitig kompetente und qualifizierte Unterstützung in diesem frühen Stadium des BU-Verfahrens in Anspruch genommen werden, damit „unvorhersehbare Risiken und Probleme“ des BU-Verfahrens vorhersehbar und damit kalkulierbar werden.
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Das OLG Jena war mit Urteil vom 29.03.2018 (Az. 4 U 392/17) als Berufungsinstanz der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der hier gegenständlichen verjährungshemmenden Klageerhebung nur die bis Ende 2012 entstandenen Leistungsansprüche verjährt waren. Für Ansprüche ab Anfang 2013 könne die Versicherungsnehmerin jedoch die vertraglich vereinbarte Beitragsfreistellung verlangen.
Damit stellte das OLG Jena eine Weiche hinsichtlich der Verjährung von Ansprüchen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung: Verjährt ein Gesamtanspruch, oder verjähren nur Teile als Einzelansprüche? Der BGH vertrat jedoch eine andere Auffassung, als das Berufungsgericht: Es gibt einen Gesamtanspruch, welcher nach den normalen zivilrechtlichen Vorschriften – § 199 BGB – verjährt. Damit findet gerade keine abschnittsweise Verjährung statt, denn der Reformgesetzgeber von 2008 habe sich mit Abschaffung des § 12 Abs. 3 VVG a.F. im Interesse der Versicherungsnehmer für die Anspruchsverjährung nach dem BGB und gegen eine Anspruchsbündelung bzw. Stammrechtsverjährung entschieden.
Die Entscheidung ist nachvollziehbar, jedoch in der Praxis nicht gefahrlos. Versicherungsnehmer, die Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend machen wollen, sollten also frühzeitig den Versicherungsfall bei dem Versicherer anmelden, um nicht mit der Einrede der Verjährung konfrontiert zu werden. Im Zweifel müssten Versicherte bei einer Erstattungsverweigerung ebenfalls frühzeitig verjährungshemmende Maßnahmen einleiten.
Für die Praxis ist damit festzustellen, dass es sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers anwaltlich überprüfen zu lassen. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen. Auch an dieser Entscheidung des BGH ist zu erkennen, dass es sinnvoll ist frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten vereitelt werden könnten.
Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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