Ein „Klassiker“ im Handelsvertreterrecht ist die Rückforderung von unverdienten Provisionen gegenüber Versicherungsvertretern. Gerade nach Beendigung des Handelsvertretervertrages kommt es oftmals zum Streit über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von unverdienten Provisionen. Dies betrifft Versicherungsvertreter, welche direkt mit Versicherern durch einen Handelsvertretervertrag verbunden sind. Genauso betrifft es aber auch Handelsvertreter von anderen Versicherungsvermittlern (Versicherungsvertreter oder Versicherungsmakler).
Im Handelsvertreterrecht richtet sich die Rückforderung von unverdienten Provisionen nach § 87a Abs.3 HGB. Danach hat der Versicherer gegenüber dem Versicherungsvertreter einen Anspruch auf Rückzahlung unverdienter Provisionen, soweit er die Stornierung des vermittelten Versicherungsvertrages nicht zu vertreten hat. Wann der Versicherer die Stornierung zu vertreten hat, ist regelmäßig strittig. Versicherungsmakler können sich indes nur in bestimmten Ausnahmefällen, auf diese rechtlichen Grundsätze berufen (siehe hierzu auch Rückforderung unverdienter Courtagen: So kann sich der Versicherungsmakler wehren).
In dem gegenüberliegenden Video fasst Rechtsanwalt Reichow die rechtlichen Grundzüge der gesetzlichen Regelung für Handelsvertreter zusammen:
Der Versicherer hat die Stornierung des Versicherungsvertrages regelmäßig dann zu vertreten, wenn er keine ordnungsgemäße Nachbearbeitung des notleidenden Versicherungsvertrages sichergestellt hat. Welche Maßnahmen danach erforderlich sind, bemisst sich stets nach dem konkreten Einzelfall. Grundsätzlich kann der Versicherer selbst Maßnahmen zur Abwendung der Stornogefahr ergreifen. Alternativ kann er dem Handelsvertreter eine Stornogefahrmitteilung zukommen lassen, sodass der Handelsvertreter Stornobekämpfungsmaßnahmen entfalten kann. Dem Versicherer steht also ein Wahlrecht zu (BGH Urteil vom 25.05.2005 – Az.: VIII ZR 237/04).
Die einfachste Art und Weise der Erfüllung der Nachbearbeitungsverpflichtung durch den Versicherer ist die Versendung von Stornogefahrmitteilungen an den Versicherungsvertreter. Ausreichend ist dabei eine Mitteilung, welche den Versicherungsvertreter in die Lage versetzt, seinerseits Stornobekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen (BGH Urteil vom 28.06.2012 – Az.: VII ZR 130/11).
Alternativ kann der Versicherer auch eigene Stornobekämpfungsmaßnahmen ergreifen. Maßstab der Nachbearbeitungspflicht ist dabei der Aufwand, den der Versicherungsvertreter selbst betreiben würde (OLG Köln Urteil vom 09.09.2005 – Az.: 19 U 174/04 – Rn. 12).
Ein einzelnes Mahnschreiben des Versicherers genügt diesen Anforderungen jedoch regelmäßig nicht (siehe hierzu BGH: Stornobekämpfung durch standardisierte Mahnschreiben). Hintergrund ist, dass auch der Versicherungsvertreter es keineswegs bei einem standardisierten Mahnschreiben belassen würde, sondern den persönlichen oder telefonischen Kontakt zum Versicherungsnehmer suchen würde (OLG Zweibrücken Urteil vom 24.05.2011 – Az.: 8 U 158/08). Erfolgen jedoch mehrere Mahnschreiben, so kann dies nach Ansicht des OLG Schleswig-Holstein (Urteil vom 04.03.2011 – Az.: 14 U 86/10 – Rn. 17) ausreichend sein (siehe hierzu OLG Schleswig: Nachbearbeitung durch standardisierte Mahnschreiben).
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In einigen Ausnahmefällen kann die Nachbearbeitung auch entbehrlich sein. Hierbei handelt es sich jedoch um echte Ausnahmefälle.
Oftmals erhalten Versicherungsvertreter auch für die von ihnen selbst abgeschlossenen Versicherungsverträge eine Provision. Entscheidet sich der Versicherungsvertreter zur Kündigung oder Beitragsfreistellung seines eigenen Versicherungsvertrages kann er sich bzgl. der Provisionsrückforderung des Versicherer nicht auf die Einhaltung von Nachbearbeitungspflichten berufen. Als Versicherungsnehmer hat er schließlich selbst Kenntnis von der Beendigung der Prämienzahlung – diese beruht schließlich auf seinem eigenen Willensentschluss.
Unter diesen Voraussetzungen ist eine eigenständige Nachbearbeitung des Vertrages durch den Versicherer nicht erforderlich, der Versicherungsvertreter verstößt vielmehr gegen den in § 242 BGB normierten Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er sich darauf beruft, der Versicherer habe ihn nicht zur Einhaltung des von ihm selbst geschlossenen Vertrages angehalten (OLG Brandenburg Urteil vom 09.07.2009 – Az.: 12 U 254/08 – Rn. 7). Eine Nachbearbeitung ist also nicht erforderlich, wenn es sich um Versicherungsverträge des Handelsvertreters selbst oder seiner nahen Angehörigen handelt.
Eine Nachbearbeitung ist auch dann nicht erforderlich, wenn Maßnahmen von Anfang an aussichtslos sind. Dies ist etwa der Fall bei feststehender Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers, oder wenn dieser einen Interessenwegfall mitteilt (OLG Zweibrücken Urteil vom 24.05.2011 – Az.: 8 U 158/08 – Rn. 23). Ein solcher Fall soll auch dann vorliegen, wenn der Versicherungsnehmer unter Hinweis auf ihr Unvermögen deutlich macht, dass eine Fortsetzung der jeweiligen Verträge für ihn nicht in Betracht kommt (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011 – Az. 14 U 86/10).
Umstritten war lange Zeit die Nachbearbeitung im Fall eines Widerrufs des Versicherungsnehmers. Einzelne Gerichte sahen eine Nachbearbeitung von Anfang an als aussichtslos an (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.5.2011, Az. 8 U 158/08 – Rn. 24). Das OLG München bejahte hingegen auch in einem solchen Fall eine Nachbearbeitungspflicht (siehe hierzu Nachbearbeitungspflichten bei Widerruf des Versicherungsvertrages). Zwischenzeitlich hat der BGH mit Urteil v. 08.07.2021 (Az.: I ZR 248/19) entschieden, dass im Fall eines Widerrufs eine Nachbearbeitung entbehrlich ist (siehe BGH: Nachbearbeitungspflichten bei Widerruf oder Beitragsfreistellung).
Eine Nachbearbeitungspflicht des Versicherers kann bei sogenannten Kleinststornis entbehrlich sein. In der Rechtsprechung ist allerdings umstritten, ab welcher Wertgrenze ein Kleinstorni vorliegt. Teilweise wird vertreten, die Geringfügigkeitsgrenze läge bei einer Provisionsrückforderung von 50,00 € je Versicherungsvertrag. Andere Instanzgerichte sehen die Grenze erst bei 100,00 € als überschritten.
Das OLG Düsseldorf bejahte eine Nachbearbeitungspflicht auch bei Kleinstornis hingegen, wenn der Versicherungsnehmer neben dem stornierten Vertrag noch weitere Versicherungsverträge unterhält, an deren Fortführung der Handelsvertreter jedenfalls ein Interesse hat (siehe hierzu vertiefend OLG Düsseldorf: Nachbearbeitungspflicht auch bei Kleinstornis).
Das OLG Brandenburg sprach sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 dafür aus, dass der Versicherer bei einem Kleinstorni zwar nicht selbst nacharbeiten müsse, aber zumindest dem Versicherungsvertreter eine Stornogefahrmitteilung zukommen lassen müsse (siehe OLG Brandenburg: Provisionsrückforderung bei Kleinstornis). Andere Gerichte sehen hingegen auch eine Stornogefahrmitteilung als entbehrlich an, weil ein wirtschaftlich denkender Versicherungsvertreter eine Nachbearbeitung bei Kleinverträgen vernünftigerweise nicht vorgenommen haben würde (so OLG Celle Urteil vom 28.06.2001 – Az.: 11 U 221/00 – OLG Celle: Keine Nachbearbeitungspflicht bei Kleinstornis). Kritisch äußerte sich hierzu auch das OLG Köln (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24.05.2012 – Az.: 19 U 169/11).
Soweit Sie von einem Versicherer eine Rückforderung von unverdienten Provisionen erhalten, empfehlen wir einem im Handelsvertreterrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu kontaktieren. Dieser sollte die Rechtmäßigkeit der geltend gemachten Forderung prüfen. Oftmals ist die Rückforderung von unverdienten Provisionen bei näherer rechtlicher Prüfung unrechtmäßig. Forderungen des Versicherers können dadurch abgewehrt werden. Wie ein solches Verfahren ablaufen kann, zeigen wir in unserem Praxisbeispiel.
Gerne steht hierfür auch die im Versicherungsrecht und Handelsvertreterrecht tätige Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:
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