Der maßgebende Zeitpunkt für den Eintritt des Rechtsschutzfalls (BGH)

Das Urteil des Bundesgerichtshof vom 30.04.2014 (Aktenzeichen IV ZR 47/13) beschäftigt sich in einem Rechtsstreit einer Versicherungsnehmerin gegen ihren Rechtsschutzversicherer mit der Frage, wann der maßgebende Zeitpunkt für einen Rechtschutzfall vorliegt.

Der Sachverhalt vor dem BGH

Die Versicherungsnehmerin begehrt von ihrem Rechtsschutzversicherer Versicherungsschutz. Die Klägerin verlangt Versicherungsschutz aus einem im Februar 1999 abgeschlossenen und von der beklagten Rechtsschutzversicherung zum 01.02.2011 hin gekündigten Rechtsschutzversicherungsvertrag. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 94 (ARB 94) zugrunde. Darin ist unter anderem geregelt:

§ 4. Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz:

(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalls

  1. a) im Schadenersatz-Rechtsschutz gem. § 2a) von dem ersten Ereignis an, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll; (…)
  2. c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Die Voraussetzungen nach a) bis c) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gem. § 7 und vor dessen Beendigung eingetreten sein.“

In dem Jahr des Vertragsabschlusses beteiligten sich die Versicherungsnehmerin und ihr mitversicherter Ehemann als atypische stille Gesellschafter an einer Aktiengesellschaft (AG). Diese befasste sich u. a. mit Erwerb und Verwaltung von Immobilien, Wertpapieren und Unternehmensbeteiligungen. Im Jahr 2007 wurde über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Rechtsschutzversicherung gewährte der Versicherungsnehmerin Deckungsschutz für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die ehemaligen Vorstände der AG wegen Betrugs, Kapitalanlagebetrugs und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.

Im Jahr 2010 erhielten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Hinweise auf eine deliktische Verantwortlichkeit der für die Beteiligungsunternehmen und ihre Verantwortlichen tätigen Wirtschaftsprüfer und Berater, die als deren Gehilfen seit Anfang 1993 unter anderem durch unzutreffende unbeschränkte Testierungen der Verschmelzungsverträge und sämtlicher Abschlüsse der Gruppengesellschaften sowie weitere Unterstützungshandlungen ebenfalls den Anlegern schadensersatzpflichtig seien.

Die Versicherungsnehmerin fragte erneut um Deckungsrechtsschutz für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen diese Wirtschaftsprüfer und Berater. Dies verweigerte die Rechtsschutzversicherung jedoch u.a. wegen Vorvertraglichkeit des Rechtsschutzfalles.

Das LG Mannheim (Urt. v. 21.8.2012 – 1 O 13/12, BeckRS 2014, 09859) hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 15.1.2013 – 12 U 155/12, BeckRS 2013, 01465) hatte der Klage jedoch stattgegeben. Die Revision der Beklagten zum BGH blieb jedoch ohne Erfolg.

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Der maßgebende Zeitpunkt für den Rechtsschutzfall

Der BGH entschied, dass der Rechtsschutzfall erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages und nicht schon Jahre vor Vertragsschluss eingetreten ist.

Die Definition des Rechtsschutzfalles in den Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sei mit der Anknüpfung an die erste Ursache des Schadens sehr weit gefasst und könne bei wörtlicher Anwendung zu einer uferlosen Rückverlagerung führen. Dies widerspreche den berechtigten Interessen des Versicherungsnehmers. Laut BGH sei daher auf den Tatsachenvortrag abzustellen, mit dem der Versicherungsnehmer seinen Schadensersatzanspruch begründet. Frühester Zeitpunkt für den Rechtsschutzfall sei somit die dem Anspruchsgegner vorgeworfene Pflichtverletzung.

Die vorgehaltene Beihilfe kann ihre anspruchsbegründende Wirkung erst bei Begehung der Haupttat im Zeitpunkt der Anlageentscheidung entfaltet haben, nicht bei den – vorbereitenden – Förderungshandlungen, die in betrügerischer Weise bei Entwicklung und Vertrieb ihres Anlageprodukts mit eingesetzt worden sein sollen. Gegenüber potenziellen Anlegern wie der Kl. und ihrem Ehemann bestanden damals noch keine gesetzlichen oder schuldrechtlichen Pflichtenbeziehungen, aus deren Verletzung sie Ansprüche hätten herleiten können. Solche kommen frühestens bei der Anbahnung des Anlagegeschäfts in Betracht, wenn sich der Gehilfenbeitrag für Anlageinteressenten manifestiert. Erst dann wird auch ein Schaden von Anlagezeichnern im Sinne der vorgenannten Senatsrechtsprechung hinreichend wahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt war die Kläger bei der Beklagten aber schon rechtsschutzversichert.

Damit scheiden laut BGH pflichtwidrige Vorbereitungshandlungen und vor der Zeichnung erfolgte Unterstützungshandlungen als Eintrittszeitpunkt des Rechtsschutzfalles aus.

Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers ist entscheidend

Das den Eintritt des Rechtsschutzfalls bestimmende schädigende Verhalten muss beim Schadensersatzrechtsschutz ebenso wie beim verstoßabhängigen Rechtsschutz nach dem Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers ihm gegenüber begangen sein. Ohne diesen Bezug fehlt es an der Eignung, einen Versicherungsfall auszulösen.

Was sagt der BGH zu einem etwaigen Zweckabschluss?

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts werden durch die gebotene zeitliche Anknüpfung an die Anlageentscheidung im Streitfall keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet über so genannte Zweckabschlüsse, die durch die Rechtsschutzfallklauseln unterbunden werden sollen (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, § 4 ARB 2008/II Rn. 39; Harbauer/Maier, § 4 ARB 2000 Rn. 3). Mit dem maßgeblichen Pflichtverletzungsvorwurf erhält der Versicherungsnehmer Anlass, für die Durchsetzung seiner Rechte kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen (BGH, VersR 2005, 1684). Von diesem Zeitpunkt an kommt der Abschluss einer kostenüberwälzenden Rechtsschutzversicherung nicht mehr in Betracht. Ein solcher Zweckabschluss scheidet aber aus, wenn – wie hier – bei der Entwicklung eines Anlageprodukts noch keinerlei Grund und Möglichkeit für kostenauslösende Maßnahmen besteht. Ebenso wenig wie bei etwa anlässlich eines einzugehenden Mietverhältnisses oder beabsichtigten Erwerbs eines Kraftfahrzeugs zur Teilnahme am Straßenverkehr genommenen Rechtsschutzversicherungen handelt es sich beim Abschluss einer Rechtsschutzversicherung um einen derartigen Zweckabschluss, wenn sich der Versicherungsnehmer schon mit Geldanlagegedanken trägt.

Fazit und Praxishinweis

Der Tatsache, dass von Rechtsschutzversicherern häufig der Einwand der Vorvertraglichkeit erhoben wird, wird mit dieser Entscheidung wieder einmal Grenzen gesetzt. Wie auch im Urteil des BGH vom 24.04.2013 – IV ZR 23/12 stellt der BGH vorliegend auf die Rolle des Versicherungsnehmers im Verfahren ab: Es kommt nur auf den vom Versicherungsnehmer behaupteten Verstoß des Gegners an.

Die Entscheidung ist im Ergebnis absolut nachvollziehbar. Maßgeblich für den Eintritt des Rechtschutzfalls muss der Tatsachenvortrag des Versicherten sein. Denn ansonsten würde die Deckung durch die Rechtsschutzversicherung von Tatsachen abhängig sein, die sich möglicherweise erst in einem laufenden Versicherungsprozess ergeben.

Begehrt der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung Deckungsschutz für die Verfolgung eigener Ansprüche (Aktivprozess), so richtet sich nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs die Auslösung des Rechtsschutzfalles allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchsgegners, auf die er seinen Anspruch stützt. Liegt also die Pflichtverletzung in der versicherten Zeit, so steht dem Versicherungsnehmer ein Deckungsanspruch aus seinem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu.

Was ist Versicherten und Versicherungsvermittlern zu raten?

Bevor es also zu einem Versicherungsfall kommt, sollten Versicherte dringend eine Rechtsschutzversicherung abschließen. Ebenfalls ist Versicherungsvermittlern zu raten, den Kunden den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung frühestmöglich anzuraten und dieses zu dokumentieren. Denn ist der Versicherungsfall bereits eingetreten und hat der Versicherte zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsschutzversicherung, so muss der Versicherte Rechtsanwaltskosten und Prozesskosten aus eigener Tasche bezahlen. Dieses kann in Versicherungsprozessen – zum Beispiel bei einem Rechtsstreit mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung – sehr teuer werden. In diesem Zusammenhang können dem Versicherten Schäden entstehen, die er möglicherweise bei seinem Versicherungsvermittler geltend machen könnten, sollte dieser nicht den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung empfohlen haben. Um diese etwaige Vermittlerhaftung zu umgehen, sollte frühzeitig der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung anempfohlen werden. Sofern Kunden eine Rechtsschutzversicherung nicht wünschen, sollte der Vermittler dieses dokumentieren.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen finden Sie unter „Versicherungsrecht“ und „Rechtsschutzversicherung„.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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