Zeitpunkt des Rechtsschutzfalles bei Streitigkeiten um Arbeitsverträge (OLG Celle)

Wonach bemisst sich der Zeitpunkt des Rechtsschutzfalles in der Rechtsschutzversicherung bei Streitigkeiten über Arbeitsverträge? Darüber hatte das Oberlandesgericht Celle zu befinden (OLG Celle, Urt. v. 10.07.2008 – 8 U 30/08).

Der Fall vor dem OLG Celle

Die Versicherungsnehmerin, im Folgenden die Klägerin, unterhält bei der Versicherung, im Folgenden die Beklagte, seit 2004 eine Rechtsschutzversicherung. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rechtsschutzdeckung für einen Rechtsstreit zwischen ihrem mitversicherten Ehemann und dessen Arbeitgeber, einem Handballverein. Dieser Sportverein beruft sich auf die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages. Im Kern ging es dabei um zwei Gehälter für Mai und Juni im Jahr 2005.

Der Rechtsschutzversicherer macht geltend, dass der Versicherungsfall nicht erst 2005, sondern bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages im Jahr 2001 eingetreten und damit vorvertraglich sei hinsichtlich der Rechtsschutzversicherung. Denn dieses wurde ja erst im Jahr 2004 geschlossen (siehe oben). Fraglich war damit, wann der Rechtsschutzfall eingetreten war.

Das Landgericht hat der Deckungsklage der Versicherungsnehmerin stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung des Rechtsschutzversicherers.

Rechtliche Würdigung des OLG Celle

Die Berufung hatte Erfolg. Das OLG Celle hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Deckungsklage der Versicherungsnehmerin überwiegend abgewiesen.

Zeitpunkt des Versicherungsfalles

Der Versicherungsfall sei vorliegend bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages eingetreten. Damit also vor Abschluss der Rechtsschutzversicherung. Dazu führte der Senat aus, dass nach § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB 1975 Anspruch auf Rechtsschutz von dem Zeitpunkt an bestehe, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen habe oder begonnen haben solle, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Hierbei genüge jedes Verhalten, das nicht mit Rechtsvorschriften oder Rechtspflichten im Einklang stehe. Für die Annahme eines Verstoßes reiche jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der den Keim eines Rechtskonfliktes in sich trage, aus. Bereits die ernsthafte Behauptung eines Verstoßes führe dazu, dass der Versicherungsfall als mit Beginn des behaupteten Verstoßes eingetreten gelte, so das OLG Celle.

Weiter führte der Senat aus, dass bei vertraglichen Beziehungen, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, allein durch den Vertragsschluss grundsätzlich noch kein Verstoß nach § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB vorliege. Streiten sich die Parteien über die Auslegung eines Vertrages, sei nach Auffassung des Gerichts frühestens die Kundgabe der vom Gegner als unberechtigt empfundenen Version der Verstoß. Dagegen sei es anders, wenn bereits die Entstehung des Schuldverhältnisses mit einem Verstoß behaftet sei. In diesem Fall, so meint das OLG, sei bereits die Entstehung des Vertrages mit dem Keim des künftigen Rechtskonfliktes belastet. Durch § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB solle gerade vermieden werden, dass der Rechtsschutzversicherer mit Kosten solcher Rechtskonflikte belastet werde, die bei Vertragsabschluss bereits die erste Stufe der Gefahrverwirklichung erreicht haben.

Der Versicherungsschutz sei unabhängig von diesen Überlegungen jedenfalls nach § 14 Abs. 3 Satz 3 ARB ausgeschlossen, meint der Senat. Danach bestehe kein Rechtsschutz, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor oder innerhalb von drei Monaten nach Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall ausgelöst habe. Durch die Regelung solle der Versicherer davor geschützt werden, Rechtsschutz für Streitigkeiten gewähren zu müssen, deren Ursachen schon in der Zeit vor Abschluss des Vertrages liegen.

Versicherer darf sich von der Deckungszusage nicht lösen!

Ist somit dem Grunde nach wegen Vorvertraglichkeit nach § 14 Abs. 3 S. 1 ARB bzw. wegen Eingreifen des Ausschlusstatbestands nach § 14 Abs. 3 S. 3 ARB kein Versicherungsschutz gegeben, so liege es im Ergebnis hinsichtlich der Kosten für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Arbeitsgericht teilweise anders. Hier habe die Beklagte nämlich nicht geltend gemacht, der Versicherungsfall sei nach § 14 Abs. 3 ARB bereits vor Vertragsschluss eingetreten, sondern habe für das Verfahren vor dem Arbeitsgericht grundsätzlich sogar eine Deckungszusage erteilt und sich zur Übernahme der Kosten insoweit verpflichtet, als sie der Versicherungsnehmerin nach den ARB Kostenschutz zu gewähren habe.

Dieses stelle ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, das alle Einwendungen ausschließe, die dem Versicherer bekannt gewesen seien oder mit denen er habe rechnen müssen. Der Versicherer sei nicht berechtigt, sich hiervon wieder zu lösen. Stellt sich im Nachhinein dagegen heraus, dass Gründe für eine Leistungsverweigerung vorliegen, auf die der Rechtsschutzversicherer sich noch berufen kann, so kann er die Deckungszusage gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 BGB kondizieren und sich somit von dieser lösen.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Celle kann im Ergebnis durchaus überzeugen und ist in der Praxis sehr relevant. Sowohl die Ausführungen zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, als auch der vom Versicherer erhobene Einwand der Vorvertraglichkeit haben große praktische Bedeutung. Zutreffend führte der Senat aus, dass es allein auf die Tatsachenbehauptung des Versicherungsnehmers ankommt und der Anspruch auf Rechtsschutz von dem Zeitpunkt an bestehe, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen habe oder begonnen haben solle, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Liegt demnach die Pflichtverletzung in der versicherten Zeit, so steht dem Versicherten ein Deckungsanspruch aus seinem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu. Rechtlich nicht zu beanstanden ist hingegen aber auch der Umstand, wenn bereits die Entstehung des Schuldverhältnisses mit einem Verstoß behaftet ist. Denn es soll gerade vermieden werden, dass der Rechtsschutzversicherer mit Kosten solcher Rechtskonflikte belastet werde, die bei Vertragsabschluss bereits die erste Stufe der Gefahrverwirklichung erreicht haben.

Im Folgenden finden Sie weitere, aktuellere Urteils-Besprechungen der Kanzlei Jöhnke & Reichow zum Thema “Versicherungsfall”:

 Ist zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung zu raten?

Noch nicht Rechtsschutzversicherte sollten dringend eine Rechtsschutzversicherung abschließen, bevor es zu dem Eintritt eines Versicherungsfalles kommt. Auch ist Versicherungsvermittlern zu raten, den Kunden den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung frühestmöglich anzuraten. Denn ist der Versicherungsfall bereits eingetreten und hat der Versicherte zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsschutzversicherung, so muss der Versicherte Rechtsanwaltskosten und Prozesskosten aus eigener Tasche bezahlen. Dieses kann in Versicherungsprozessen – zum Beispiel bei einem Rechtsstreit mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung – sehr teuer werden.

Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie themenspezifisch unter Rechtsschutzversicherung zusammengefasst.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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