Auslegung der strengen Wiederherstellungsklausel in der Neuwertversicherung (BGH)

Der BGH hatte sich mit Urteil vom 20.04.2016 (Az. IV ZR 415/14) mit der Auslegung der strengen Wiederherstellungsklausel in der Neuwertversicherung zu befassen gehabt.

Der Sachverhalt vor dem BGH:

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert mit einer Wiederherstellungsklausel in der Neuwertversicherung. Er fordert nach dem Brand seines Hauses von der Versicherung den versicherten Neuwertanteil. Die Versicherung hatte nämlich zunächst nur die Zeitwertentschädigung reguliert.

Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeine Bedingungen für die Wohngebäudeversicherung (VGB 2010) der Beklagten zugrunde. In § 28 heißt es auszugsweise:

„(7) Sie erwerben den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil), nur, soweit und sobald Sie innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sicherstellen, dass Sie die Entschädigung verwenden werden, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen …“

Die Wohnfläche des versicherten Hauses überstieg ausweislich eines nach dem Brand eingeholten Obmanngutachtens die im Versicherungsvertrag angegebene Wohnfläche. Daher kürzte die Versicherung den vom Sachverständigen ermittelten Zeitwertschaden nach § 28 Abs. 2 VGB 2010 entsprechend dem Flächenunterschied ein und zahlte diesen Betrag an den Kläger aus.

Der Kläger hat noch innerhalb von drei Jahren nach dem Brand auf seinem Grundstück mit dem Neubau eines Wohnhauses begonnen, welches infolge einer vergrößerten Wohnfläche und einer angebauten Garage eine um circa 37% größere Grundrissfläche aufweist als das abgebrannte Haus. Eine Baugenehmigung ist inzwischen erteilt. Der Kläger hat auch einen Bauvertrag nach VOB mit einem Bauunternehmen abgeschlossen. Diesem Bauvertrag lag das Leistungsverzeichnis aus dem Obmanngutachten zugrunde.

Folglich machte der Kläger – unter Zugrundelegung des im Obmanngutachten ausgewiesenen Neuwerts und der Berücksichtigung der von der Beklagten ermittelten Kürzungsquote – die Differenz der vorgerichtlich geleisteten Summe zum errechneten Neuwert (47.268,74 €) geltend, was die Beklagte mit der Begründung ablehnte, der Kläger habe die Sicherstellungsvoraussetzungen nach § 28 (7) VBG 2010 nicht erfüllt und verweist insbesondere darauf, dass das neu errichtete Gebäude wegen der Grundflächenvergrößerung um 37% in Art und Größe wesentlich vom früheren Gebäude abweiche und deshalb nicht von gleicher Art und Zweckbestimmung im Sinne von § 28 (7) VGB 2010 sei.

Das Landgericht Halle (Saale) hatte die Klage abgewiesen. Das vom Kläger angerufene OLG Sachsen-Anhalt hatte dem stattgegeben. Mit der Revision zum BGH erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

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Die rechtliche Würdigung des BGH:

Der BGH folgte dem OLG nicht, hob das Urteil auf und verwies zurück mit der Begründung, dass § 28 (7) VGB 2010 eine strenge Wiederherstellungsklausel enthalte, welche sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats an dem für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck der Neuwertversicherung, den Schaden auszugleichen, orientiert. Danach ist der Schaden auszugleichen, der dem Versicherungsnehmer dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, wenn er das zerstörte Gebäude wiederherstellt. Auf diesen tatsächlichen Schaden ist der Umfang des Ersatzanspruchs jedoch beschränkt.

Schadensbegrenzung durch Wiederherstellungsklausel in der Neuwertversicherung

Die Neuwertversicherung soll grundsätzlich keine Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Verbesserungen des Gebäudes bei seiner Wiedererrichtung verursacht wurden. Zweck dieser ist es deshalb zum einen, die Bereicherung durch die Neuwertentschädigung auf den Teil zu beschränken, der das Bedürfnis für die Neuwertversicherung begründet, also auf die ungeplanten, dem Versicherungsnehmer erst durch den Versicherungsfall aufgezwungenen Ausgaben.

Versichert sind keine Verbesserungen des Gebäudes

Für den Versicherungsnehmer ersichtlich zielt die Bestimmung zum anderen aber auch auf die Begrenzung des subjektiven Risikos des Versicherers, der davor geschützt werden soll, dass der Versicherungsnehmer – wie bei freier Verwendbarkeit der Versicherungsleistung – in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalles Vermögensvorteile zu verschaffen. Solche unerwünschten Vermögensvorteile können auch darin bestehen, dass der Versicherungsnehmer zwar bereit ist, die durch eine Erweiterung oder wesentliche Veränderung des Neubaus gegenüber dem Vorgängergebäude entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen, im Übrigen aber auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Gebäude bei der Finanzierung des neuen Bauvorhabens zurückgreifen kann.

Subjektives Risikos des Versicherers muss begrenzt werden

Wollte man dem Versicherungsnehmer diesen Zugriff auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Haus ungeachtet der Art und Zweckbestimmung des neu errichteten Gebäudes zur freien Verwendung gestatten, wäre auch dadurch das subjektive Risiko erhöht, weil Versicherungsnehmer dann ebenfalls versucht sein könnten, zur Teilfinanzierung eines Neubauvorhabens den Versicherungsfall vorsätzlich herbeizuführen.

Gefahr der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls

Mit seiner Erwägung, dem Erfordernis der Wiederherstellung des Gebäudes in etwa derselben Größe sei im Streitfall schon dadurch genügt, dass der Kläger nur die Neuwertspitze für das durch den Brand zerstörte Haus auf der Grundlage der Berechnungen des Obmanngutachtens und unter Berücksichtigung der festgestellten Unterversicherung verlange, konnte das Berufungsgericht allenfalls eine objektive Bereicherung des Klägers ausschließen. Darin erschöpft sich der Zweck der strengen Wiederherstellungsklausel aber nicht, weshalb sich die vom Berufungsgericht vorgenommene teleologische Reduktion des Erfordernisses der Wiederherstellung einer versicherten Sache gleicher Art und Zweckbestimmung verbietet. Stünde einem Versicherungsnehmer ungeachtet der Art und Zweckbestimmung des neu errichteten Gebäudes die Neuwertentschädigung bis zur Höhe des Neuwerts des zerstörten Gebäudes in jedem Falle zu, würde dies das subjektive Risiko erhöhen, dem die Wiederherstellungsklausel entgegenwirken soll.

Berufungsgericht muss erneut entscheiden

Die Sicherstellung im Sinne von § 28 (7) VGB 2010 nach den gegebenen Umständen festzustellen, ist Sache des Tatrichters. Insofern hat sich das Berufungsgericht bisher den Blick dafür verstellt, dass es anhand der gesamten baulichen Gegebenheiten auch feststellen muss, ob das im Bau befindliche neue Gebäude des Klägers von gleicher Art und Zweckbestimmung ist wie das durch den Brand zerstörte Haus. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung.

Relevanz für die Praxis

Wer sich nach einem Brand dazu entschließt den Bau im Rahmen der Wohngebäudeversicherung wieder zu errichten, sollte sich frühzeitig rechtliche Unterstützung einholen. Andernfalls drohen die Ansprüche auf eine Neuwertspitze verloren zu gehen. Diese sind an rechtliche Voraussetzungen geknüpft, die teilweise von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Es ist daher unabdingbar sich Rechtsrat dahingehen einzuholen, ob die Voraussetzungen erfüllt wurden und worauf der Anspruch zu begrenzen ist.

Unterstützung durch Experten im Versicherungsrecht zahlt sich aus!

Alle Leistungsentscheidungen von Versicherungen sollten juristisch überprüft werden, damit nicht ungerechtfertigte Leistungsablehnungen im Rahmen de Wohngebäudeversicherung riskiert werden. Auch rein prozessual ist es ratsam, gerichtliche Streitigkeiten stets von Spezialisten im Versicherungsrecht führen zu lassen. Aus diesem Grunde sollten frühzeitig versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht hinzugezogen werden, damit der Versicherte frühzeitig über die Risiken derartiger Verfahren aufgeklärt wird und entsprechende anwaltliche Hinweise bekommt. Versicherungsprozesse sich äußerst kostspielig. Wir auch dieser Fall zeigt, enden Versicherungsprozesse meist erst in der zweiten Instanz. Damit werden de facto zwei Prozesse geführt, die von demjenigen bezahlt werden müssen, wer den Anspruch auf Leistungen geltend macht. Das ist meist der Versicherungsnehmer / Versicherte.

Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus der Wohngebäudeversicherung ist die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte gern Ihr Ansprechpartner und steht Ihnen jederzeit unterstützend zur Seite.

Weiter Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und „Gebäudeversicherung“ bereits zusammengefasst.

Zu dem Bereich der Neuwertversicherung ist nachfolgenden ein weiterführender Artikel zu finden: Die sogenannte „Neuwertspitze“ in der Gebäudeversicherung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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